Studierende in SH entwickeln schwimmendes Riesen-Windrad
von Peer-Axel Kroeske
31.01.2023 (archivierter Text)
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Mit dem Modell wollen die Nachwuchs-Ingenieure aus Kiel und Flensburg zeigen, wie Windkraft auch in großen Meerestiefen funktionieren kann.
Windkraft zu entwickeln und schließlich zu bauen, damit beschäftigen sich Ingenieure - aber auch schon der internationale Ingenieurs-Nachwuchs im gemeinsamen Windkraft-Studiengang der Hochschule Flensburg und der Fachhochschule Kiel. Dass eine solches Windrad überhaupt stehen bleibt, ist schon herausfordernd genug. Doch die Studierenden wollten höher hinaus.
Mit Windkraft in größere Tiefen vordringen
In bis zu 100 Metern Wassertiefe lassen sich Windanlagen auf hoher See mit der derzeitigen Technik noch fest verankern. Auf deutschem Gebiet sind schwimmende Anlagen damit kein Thema, da Nord- und Ostsee hier flacher sind. "Frankreich, Japan oder die USA haben aber sehr schnell sehr tiefe Meeresgründe," weiß Charlotte Röhling, die das studentische Projekt leitet. Wie also in größere Tiefen vorrücken?
Dieser Frage stellten sich die Drittsemester und konstruierten eine der weltgrößten schwimmenden Anlagen - mit gut 17 Megawatt Leistung auf einer schwankenden Plattform im Wasser. Und diese Lösung könnte viel Anklang finden, denn Professor Torsten Faber von der Hochschule Flensburg schätzt, dass bald jede zehnte Anlage vor den Küsten eine schwimmende sein wird. Vor Schottland und Norwegen drehen sich bereits die ersten.
Hohlräume im Stahl sorgen für Auftrieb
Auf dem Pult im Hörsaal steht nun das Ergebnis von vier Monaten Arbeit, ein einfaches Modell der "Optimus Oceanus". Ein gelbes Dreieck, verstrebt auf zwei Ebenen, dient als Plattform. Diese wäre bereits mehr als 40 Meter hoch und soll sich etwa zur Hälfte über Wasser halten, trotz 22.000 Tonnen Gewicht inklusive der Windanlage obendrauf.
Student Lorenz Peters ist überzeugt, dass das funktioniert. "Das Material ist größtenteils Stahl, es gibt auch Lösungen aus Beton. In unserem Fall werden Hohlräume genutzt, um Auftrieb zu erzeugen", erklärt er. "Und um diese Anlage immer horizontal auszurichten, werden Pumpen integriert, die Ballastwasser zwischen diesen Säulen transferieren."
Studierende aus zehn Ländern arbeiten zusammen
Professor Peter Quell von der Fachhochschule Kiel hat früher selbst beim Unternehmen Repower Windanlagen entwickelt. "Das muss man dynamisch stabil bekommen", betont er, "das sind schon besondere Herausforderungen, die die Studenten zu bewältigen haben." Die 32 Studenten in dem gemeinsamen Studiengang der beiden Hochschulen kommen aus aller Welt: Brasilien, Russland, Ägypten, Indien sowie aus sechs weiteren Ländern. Unterrichtssprache ist Englisch. Osama Butt sagt, er wolle nach dem Studium nach Pakistan zurückgehen und dort Windkraft aufbauen.
Immer zum Wind ausgerichtet - ohne festen Fuß
Zeinab Nakad aus dem Libanon beschäftigte sich mit ihrem Team vor allem damit, das Schwanken der gesamten Konstruktion zu begrenzen: "Sie geht hoch und runter, kann auch kippen und rotieren. Es sollten höchstens acht Grad Neigung sein." Die Anlage darf sich natürlich nicht von allein aus dem Wind drehen - ohne festen Fuß gar nicht so leicht umzusetzen. Die Studierenden suchten von Gewinde über Getriebe bis zur Verkabelung alle Komponenten heraus. Dann simulierten sie am Computer, wie alles zusammenspielt: "Das macht Spaß, ist aber auch sehr nervenaufreibend," berichtet Lorenz Peters.
Anregungen für die Industrie, Nachbau aber unwahrscheinlich
Ein Windrad dieser Größe könnte in Kombination mit einem Speicher eine Stadt wie Schleswig (Kreis Schleswig-Flensburg) mit gut 25.000 Einwohnern komplett mit Strom versorgen. Die bisherigen Entwicklungen des Studiengangs waren deutlich kleiner. In die komplett andere Richtung geht die Forschung für eine Kleinwindanlage. 2019 stellten Studenten zudem einen Entwurf für eine Anlage aus Holz vor, die bisher allerdings nie gebaut wurde.
Dennoch bekomme die Industrie Anregungen, meint Professor Faber. Gleichzeitig sammeln die Studenten wichtige Erfahrungen, bestätigt Tobias Wessel, technischer Leiter des Unternehmens Aerovide in Rendsburg, das professionell neue Windanlagen für die Industrie entwickelt. Er verfolgte die Präsentation im Hörsaal. "Man kann natürlich nicht in diesen Projekten so in die Tiefe gehen", sagt der Fachmann, "in vier Monaten schafft man das einfach nicht. Aber wenn man sich umguckt, was hier auf den Postern ist, ist das doch schon ein guter Überblick."