Nach Kritik an Schlachthöfen: Eine Wohnungsbesichtigung
von Peer-Axel Kroeske
18.06.2020 (archivierter Text)
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Schlechte Wohnbedingungen ausländischer Leih- und Werkarbeiter in der Fleischindustrie stehen deutschlandweit in der Kritik. In Flensburg zeigte ein Subunternehmen nun ein Gegenbeispiel.
Alles andere als eine saubere, aufgeräumte Wohnung hätte das Reporterteam von NDR Schleswig-Holstein bei dem "Transparenztermin" überrascht. Die Betten sind gemacht, der Fußboden sauber, es sind kaum persönliche Gegenstände zu sehen. Seit Januar wohnen hier zwei rumänische Paare und ein Mann verteilt auf drei Zimmer. Das einzige anwesende Paar machte einen zufriedenen Eindruck. Dennoch wird klar: Aus dem Weg gehen können sich die fünf Bewohner kaum. Für mehr als Bett und Schrank ist in den Zimmern kaum Platz. Und auch in der Küche wird es eng.
Eine Einladung der Werksleitung
Das Angebot zur Wohnungsbesichtigung hatte der Geschäftsführer des Unternehmens "Zur Mühlen" Axel Knau im Mai unterbreitet. Er leitet die Fleisch- und Wurstfabriken in Böklund und Satrup. Vor dem Werktor verteilten die Gewerkschaften damals Flugblätter an ausländische Arbeitskräfte. An beiden Standorten liefen gerade die Corona-Tests von rund 2.000 Mitarbeitern. 13 davon waren infiziert, wie sich später herausstellte. Die "Zur Mühlen"-Gruppe ist Teil der Tönnies-Holding, in deren Produktion im Kreis Gütersloh es jetzt zu Hunderten Ansteckungen kam. Als ein möglicher Grund gilt die Enge in Werk- und Leiharbeiterunterkünften. Knau betonte im Mai jedoch, im Norden Schleswig-Holsteins gebe es keine von den Unternehmen gestellten Massenunterkünfte. Der Eindruck katastrophaler Verhältnisse sei falsch. Er schlug vor, dass die Redaktion eine Wohnung von einer Liste frei auswählt. Bei der ersten Wahl klappte das nicht. Die Bewohner hätten einen Presserundgang abgelehnt, teilte Tönnies-Sprecher André Vielstädte mit. In einer Nachbarstraße sei ein Termin aber möglich.
Ausgelagerte Immobiliengesellschaft des Subunternehmens
Ekkehard Kötter reiste für den Termin extra aus Nordrhein-Westfalen an. Er ist Geschäftsführer der Besselmann Immobilien Service GmbH, die die Wohnung von einem Flensburger Immobilienunternehmen angemietet hat. Besselmann ist ein deutschlandweites Unternehmen und stellt einen Großteil der Werk- und Leiharbeiter in Böklund und Satrup. Die Immobiliensparte ist seit Kurzem ausgelagert. Gewerkschaften kritisieren, mit diesem Konstrukt könnten die Behörden die Wohnungen kaum noch kontrollieren. Die Vermietung gelte dann als privat. Kötter bestreitet das. Seine Ansage: "Bei uns ist jeder willkommen und kann jeder reinschauen."
Gewerkschaften bleiben skeptisch
Susanne Uhl vom Deutschen Gewerkschaftsbund glaubt generell nicht, dass bei angemeldeten Besichtigungen ein objektiver Eindruck vermittelt wird: "Es ist Usus, dass vorher Betten geschoben werden, es wird frisch gestrichen. Es passiert vieles, bevor Transparenz wirklich stattfinden darf." Sie kritisiert schon seit Jahren, wie ausländische Arbeitskräfte untergebracht werden. Durch die Corona-Auflagen habe sich die Lage zumindest etwas verbessert, räumt sie ein. Einzelzimmer sind jetzt vorgeschrieben. Nur Paare dürfen einen gemeinsamen Raum nutzen. In der Wohnung in der Apenrader Straße seien diese Vorgaben schon vorher erfüllt gewesen, heißt es von Besselmann Immobilien.
1500 Euro Miete für drei kleine Zimmer
Offen geht Kötter mit der Frage nach den Mietkosten um. Jeder Bewohner zahle 300 Euro warm. Die Firma Besselmann kassiert also insgesamt 1.500 Euro bei Vollbelegung für die relativ kleine Drei-Zimmer-Wohnung. Sie selbst zahlt nach eigenen Angaben nur 800 Euro kalt an ein Flensburger Immobilienunternehmen dafür. Kötter sagt dazu: "Wir tragen das Vermieterrisiko. Wenn Sie sagen: Ich brauche eine Wohnung für ausländische Mitarbeiter, dann sind Sie froh, wenn Sie überhaupt eine bekommen." Und ihm ist auch bewusst, dass er hier ein positives Beispiel präsentiert: "Nicht alle Wohnungen sind wie diese." Wenn Beschäftigte aber aus Kostengründen Wohnungen auf dem freien Markt anmieten und dann große Wohngemeinschaften bilden, sei das deren freie Entscheidung. Hierauf hätten die Unternehmen keinen Einfluss.
Maria betreut ihre Landsleute in Flensburg
Als Kontaktperson für die Rumänen stellt sich Maria Todeanca vor. Die junge Frau sagt, sie kümmere sich um alle behördlichen Fragen und Probleme, wenn neue Mitarbeiter für das Unternehmen Besselmann nach Flensburg kommen. Eine gute Betreuung vor Ort sei wichtig, meint sie. Andernorts würden ausländische Beschäftigte oft sich selbst überlassen. Sobald es wieder möglich ist, will sie auch wieder Sprachkurse anbieten. Sie selbst ist schon im Alter von 10 Jahren nach Deutschland gekommen und hat bereits als Übersetzerin gearbeitet. Über sie fand auch Sorin Pohrib im Januar den Weg nach Flensburg. Ein Freund habe ihm Marias Telefonnummer gegeben, berichtet er.
Erst Italien und Spanien, jetzt Deutschland
Von den Bewohnern ist nur das Ehepaar Pohrib gerade anwesend. Maria Todeanca übersetzt, was der Mann erzählt. Er kommt aus der Grenzregion zu Moldawien. Mit seiner Frau ist er seit Januar hier - in ihrer rumänischen Heimat haben sie auf dem Bau und in der Landwirtschaft gearbeitet, sie wurden aber schlecht bezahlt. Für Kinder und Enkelkinder wird Geld benötigt. Beide haben auch schon in Italien und Spanien gelebt und gearbeitet. In Deutschland gefalle es ihnen am besten, sagen sie. Wie lange sie bleiben, wissen sie aber noch nicht.