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Projekt "Wellcome": Einfach mal Pause vom Baby

von Peer-Axel Kroeske

30.06.2019 (archivierter Text)
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Junge Eltern wissen: Ein Baby zu haben, ist im ersten Jahr quasi ein 24-Stunden-Job. Das Projekt "Wellcome" sorgt dafür, dass auch mal Zeit zum Luftholen ist.

Die kleine Katharina strahlt, als Jutta Birkelbach in der Haustür am Husumer Markt steht. Seit einem halben Jahr kommt die ehrenamtliche Helferin des Angebots "Wellcome" jede Woche vorbei, um Mama Sarah Löhr für zwei Stunden zu entlasten. Elf Monate ist Katharina jung, das erste Kind und ein Sonnenschein. In den ersten Wochen hatte Katharina die junge Mutter aber an den Rand ihrer Belastbarkeit gebracht - trotz solider Familienverhältnisse. "Man unterschätzt das vorher. Man merkt gar nicht, dass man den ganzen Tag 120 Prozent gibt und den Schlaf nachts nicht aufholen kann", berichtet Sarah Löhr. Anfangs hatte sie noch Bedenken, nach Hilfe zu fragen. Andere haben es nötiger, dachte sie. Und sie hatte Bedenken, ob es überhaupt funktioniert? "Katharina hat viel geweint. Deshalb habe ich mich auch nicht gleich gewagt, jemanden anzufragen, weil ich dachte, sie wird die Leih-Oma nur anschreien. Aber irgendwie hat's dann doch geklappt", erinnert sich Sarah.

"Kathi hat mich nach fünf Minuten gar nicht mehr beachtet"

Mit Jutta Birkelbach stimmte gleich die Chemie. Bei ihrem ersten Besuch war die ehemalige Arzthelferin mit dem Baby sofort ins Spielen vertieft. Die Mutter traute ihren Augen kaum. "Sechs Monate hing ich an diesem Kind, wir klebten aneinander", erinnert sie sich. Auf einmal konnte sie sich nun problemlos entfernen und ging mit ihrem Mann erst mal frühstücken. Das hatten beide lange nicht gemacht. Meistens ist er aber bei der Arbeit. Sarah Löhr nutzt die Zeit nun für Haushalt, wichtige Telefonate oder "einfach mal schlafen."

Kühlschrank leer, Windeln voll

Für die Leih-Oma sind die Löhrs bereits die siebte Familie in 13 Jahren. Ihre eigenen Enkelkinder wohnen weit weg. Als sie hörte, dass Ehrenamtliche für das Angebot gesucht werden, war sie Feuer und Flamme. Allerdings erlebte sie auch schon ganz andere Familien. Sie berichtet von einer siebenfachen Mutter, die fast jedes Jahr ein Kind bekam, seit sie 16 war. Der Kühlschrank war nur spärlich befüllt, die Windeln quollen über. In einem anderen Fall betreute sie eine Drogensüchtige, die zunächst sehr skeptisch war. Die Frau befürchtete, das Jugendamt wolle sie kontrollieren und ihr das Sorgerecht entziehen. Hier gab es noch einige Komplikationen.

Ehrenamtliche Hilfe in Grenzsituationen

"Bei Kindeswohlgefährdung muss tatsächlich eingegriffen werden", stellt Sabine Tolkmitt fest. Als Leiterin der Familienbildungsstätte koordiniert sie "Wellcome"-Aktivitäten in Husum. Sie entscheidet viel nach ihrem Bauchgefühl: Sind die Ehrenamtlichen für die spezielle Situation geeignet? Eine verpflichtende Vorbereitung müssen die "Wellcome-Engel" nicht absolvieren. Allerdings stehen ihnen kostenlose Kurse offen, in denen es auch darum geht, das Erlebte zu verarbeiten. Es ist allerdings nicht im Sinne des Projektes, wenn sich die "Wellcome-Engel" plötzlich gedrängt sehen, auch außerhalb der Betreuungszeit zu helfen. Sabine Tolkmitt zeigt sich selbstkritisch: Wenn bereits das Jugendamt involviert sei, müssten bessere Absprachen erfolgen, "damit eben nicht solche Dinge wie mit Jutta Birkelbach passieren, dass sie da in ein Netz hineingezogen wird, wo man sich gut abgrenzen muss."

Freundschaften für's Leben

Auf jeweils ein Jahr ist die Hilfe durch "Wellcome" angelegt. Doch danach können die Kontakte auch fortbestehen. Dann werden die "Wellcome-Engel" zu "Paten". Durch das Projekt sind schon viele Freundschaften entstanden. "Wellcome"-Angebote gibt es inzwischen in fast allen Kreisen in Schleswig-Holstein. Sie stehen allen Familien offen. Und auch Ehrenamtliche werden immer wieder gesucht.


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