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Flensburg: Vernehmung per Video schützt missbrauchte Kinder

von Peer-Axel Kroeske

21.06.2021 (archivierter Text)
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Missbrauchsopfer müssen häufig immer wieder vortragen, was sie erlebt haben: Bei den Ermittlungen und im großen Gerichtssaal, wo auch der Täter sitzt. Die Flensburger Justiz zeigt, dass es auch anders geht.

Das jüngste Kind, das bisher im Raum C III 363 des Flensburger Amtsgerichts Platz genommen hat, war nur fünf Jahre alt. Es berichtete von körperlicher Gewalt. Gegenüber saß die Ermittlungsrichterin in Alltagskleidung. Der Vernehmungsraum wirkt wie ein kleines Büro. Ein Tisch, zwei unaufdringliche Kameras, das Miniatur-Mikrofon fällt kaum auf.

Kinder sind im großen Saal oft überfordert

Ein großer Gerichtssaal würde Kinder dagegen manchmal einschüchtern, sagt Staatsanwältin Anke Marlie. Dort sitzen mehrere Richter in Roben. Der mutmaßliche Täter ist meist anwesend, während Verteidiger die Opfer mit Nachfragen verunsichern können.

Kritische Nachfragen sind auch bei der Videobefragung möglich. Jedoch sitzen alle anderen Beteiligten in einem separaten Raum. Je nach Alter der Opfer läuft die Kommunikation über Textnachrichten oder eine Gegensprechanlage.

In Flensburg zogen alle an einem Strang

Die Aufnahme kann später nur verwendet werden, wenn technisch alles stimmt. Die Richter am Landgericht müssen sich voll auf die Ermittlungsrichter am Amtsgericht verlassen können. Sie selbst verzichten dabei darauf, sich ein persönliches Bild vom Opfer zu machen. In Flensburg habe die gesamte Justiz an einem Strang gezogen, sagt Staatsanwältin Marlie. Noch nicht ein Mal sei es seit 2015 vorgekommen, dass ein Opfer noch einmal im Prozess habe erscheinen müssen. Damit sei das Ziel erreicht, traumatische Situationen zu vermeiden.

Technische Feinarbeit und eine wichtige Uhr

Die gesetzliche Grundlage für die Videobefragung ist vorhanden. 2019 wurde sie auch auf erwachsene Opfer sexuellen Missbrauchs erweitert. Dennoch nutze die Justiz außerhalb Flensburgs diese Möglichkeiten sehr uneinheitlich, meint der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Bernd Winterfeldt. Eine Hürde könnte die Technik sein. Videokonferenzen sind zwar schnell eingerichtet. "Doch wir alle wissen seit Corona, wie schnell uns die Technik einen Streich spielt. Das darf hier nicht passieren," meint Staatsanwältin Marlie.

Wichtig sei auch eine Aufnahme aus mehreren Perspektiven, um Gesten und Mimik zu erkennen. Zudem müssten Ermittlungsrichter für die Vier-Augen-Situation mit den Kindern ausgebildet sein, so Marlie. Mehr als ein Accessoire ist die Uhr an der Wand: Sie dient als Beleg, dass die Aufnahme keine Schnitte enthält und später nichts eingefügt wird.

Kinder sind Kameras offenbar aus Alltag gewöhnt

Dann aber kann die Videovernehmung Aussagen besonderer Qualität liefern. Die Kamera beachten einige Kinder schon nach wenigen Minuten kaum noch. Videos gehören für die meisten Kinder zum Alltag. "Man muss aber gut erklären, wie die Aufnahme verwendet wird, dass es natürlich nicht im Internet abgespielt wird und keiner darauf Zugriff hat," betont die Staatsanwältin, die mit einer Kollegin einen Leitfaden zu der Flensburger Praxis geschrieben hat.

Flensburger Modell macht bundesweit Schule

Dieser Leitfaden war bereits bei Justiz-Fortbildungen heiß begehrt. Staatsanwaltschaften aus ganz Deutschland fordern ihn mittlerweile an. Den Ritterschlag gab es nun auf der Justizministerkonferenz. Dort hatte Schleswig-Holsteins Justizminister Claus Christian Claussen (CDU) angeregt, einen bundesweiten Leitfaden zu den Videovernehmungen zu erstellen. Die Idee wurde angenommen. Eine Arbeitsgruppe soll sich nun auf Grundlage des Flensburger Modells damit befassen.


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