Kreistage ein Drittel größer: Der Platz wird knapp
von Peer-Axel Kroeske
15.05.2023 (archivierter Text)
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Als stärkste Kraft hat die CDU bei der Kommunalwahl viele Direktmandate geholt, ihr Stimmenanteil geht aber zurück. Die Folge: Überhangmandate.
"Ich komme gerade vom Möbelmarkt, Stühle besorgen," scherzt Landrat Dr. Wolfgang Buschmann aus dem Kreis Schleswig-Flensburg zur Frage, ob im Sitzungssaal denn künftig genug Platz ist. 49 Abgeordnete sitzen regulär im Kreistag. Durch Ausgleichsmandate waren es zuletzt schon 56. Jetzt werden es 67. Fast alle Kreistage in Schleswig-Holstein werden in der neuen Wahlperiode etwa um ein Drittel größer sein als offiziell vorgesehen.
Wenn die stärkste Partei nur ein Drittel der Stimmen bekommt
Der Effekt tritt auf, sobald die stärkste Partei flächendeckend fast alle Direktmandate gewinnt, ihr Stimmenanteil aber deutlich unter 50 Prozent liegt. Für die direkt gewählten Abgeordneten ist zunächst die Hälfte aller regulären Sitze vorgesehen. Innerhalb des Kreises Schleswig-Flensburg war die CDU in 24 von 25 Wahlkreisen stärkste Kraft. Da sie aber nur gut ein Drittel und nicht die Hälfte aller Stimmen bekam, bekommen alle anderen Parteien einen Ausgleich.
Wahlrecht auf Parteienvielfalt nicht ausgelegt
Die Überhangmandate waren kein Thema, als die CDU in den ländlich geprägten Kreisen noch dicht an die 50 Prozent kam. Sobald sich viele Parteien den Kuchen aufteilen, eine Partei aber trotzdem flächendeckend die stärkste bleibt, schnellt die Abgeordnetenzahl nach oben. Diese Situation ist nun gegeben: Die CDU führt trotz einiger Verluste, während SPD, Grüne und SSW erst mit Abstand folgen. Nach oben sei keine Grenze gesetzt, sagt der geschäftsführende Vorstand des Landkreistages Schleswig-Holstein, Sönke Schulz. Theoretisch seien Kreistage mit 100 oder 200 Abgeordneten denkbar.
Hürde für das erste Mandat sinkt - immer mehr Parteien schaffen den Sprung
Dadurch wächst wiederum die Zahl der Gruppierungen. Bei 100 Abgeordneten reichen grob vereinfacht bereits 0,5 Prozent aller Stimmen für das erste Mandat, da nach dem geltenden Sainte-Laguë-Verfahren gerundet wird. In Nordfriesland erringt beispielsweise die Partei "Zukunft" mit nur einem Prozent einen der 65 Sitze. Neun Parteien sind dort künftig vertreten, in Flensburg sogar alle elf, die auf dem Wahlzettel standen.
Stundenlange Sitzungen schrecken Ehrenamtliche ab
"Mehr Abgeordnete bedeuten: längere Sitzungen, wenn sich alle zu Wort melden," fürchtet Schulz. Dadurch werde es weniger attraktiv, sich ehrenamtlich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Wer berufstätig ist oder sich um die Familie kümmern muss, könne das zeitlich nicht mehr einrichten. Das Problem haben auch die Kommunen. So wächst die Zahl der Gemeindevertreter in Henstedt-Ulzburg von 33 auf 57, in Norderstedt von 39 auf 57.
Wahlrecht ändern - aber wie?
Ein Appell an das Land, daran etwas zu ändern, habe bereits vor fünf Jahren nichts bewirkt, berichtet Schulz. Er räumt ein: Eine Wahlrechtsreform sei ein dickes Brett, da viele Interessen hineinspielen. Es gibt mehrere Ansätze, die Abgeordnetenzahl zu reduzieren. So könnte die Zahl der Ausgleichsmandate gedeckelt werden. Der Nachteil: Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament entsprechen nicht mehr den Stimmenanteilen.
Man könnte auch festlegen, dass nur die Direktmandate mit dem höchsten Stimmenanteil durchkommen. Nachteil hier: Einige Wahlkreise haben keinen direkt gewählten Vertreter mehr. Oder die Wahlkreise werden neu geschnitten, sodass es insgesamt weniger werden.
Innenministerin hat Thema im Blick
Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) teilte dazu am Dienstag auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein mit, sie habe das Thema im Blick und werden sich dazu auch mit den kommunalen Verbänden im Land austauschen. "Entscheidungen in diesem Bereich würden Veränderungen unseres demokratischen Wahlsystems bedeuten", erklärte sie. "Diese Entscheidungen sollten nur im Schulterschluss mit allen entscheidenden demokratischen Institutionen getroffen werden."
Fünf Minuten Rederecht - noch zu lang?
Organisatorisch ließe sich der größere Kreistag gerade noch so bewältigen, berichtet Landrat Buschmann. Er appelliert aber an die Selbstdisziplin der Abgeordneten. Redebeiträge sind derzeit auf fünf Minuten begrenzt. Ob diese Länge in Zukunft noch angemessen sei, müsse sich zeigen.