Pfingstwochenende auf Sylt: Punks vorm Supermarkt, sonst ruhig
von Peer-Axel Kroeske
05.06.2022 (archivierter Text)
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Trotz Neun-Euro-Tickets ist es auf Sylt ruhig geblieben. Einige Reibereien gab es trotzdem. Eine Reportage.
Auf nach Sylt! - Das haben sich am Pfingstwochenende wohl einige gedacht - und dabei auf das Neun-Euro-Ticket gesetzt. Auch Lisa und Michael aus Lübeck. Sie wollten schon immer zur Sylter Schokoladenmanufaktur - und starten mit drei Neun-Euro-Tickets in den Kurzurlaub: Lisas Semesterticket wurde automatisch umgewandelt, Micha musste sich noch eins besorgen - und der Hund. Denn auch die Vierbeiner können einen Monat lang für neun Euro mitfahren. "Wir sind von Lübeck über Hamburg gefahren. Hamburg-Elmshorn war auf jeden Fall stressig. Nur stehen. Aber ansonsten war es sehr entspannt," erzählen beide, als sie am Sonnabendmittag in Westerland aussteigen.
Knapp acht Stunden von Teterow nach Sylt
Am Bahnsteig zieht gerade eine Gruppe junger Männer mit einer Lautsprecherbox vorbei. "Ich will zurück nach Westerland", haben sie vorher im Zug immer wieder lauthals zur Musik gesungen. Um halb sechs sind sie in Teterow in Mecklenburg-Vorpommern gestartet. Warum nach Sylt? "Weil Sylt die geilste Hochseeinsel der Welt ist", lallen sie jede Detailkenntnis ignorierend beim angeblich achten Bier. Das mag hinkommen. Jetzt wollen sie "Bonzen ärgern" und "unangenehm auffallen", wirken in ihrer Bierlaune aber nicht wirklich gefährlich.
"Clash of Cultures" nur im Kleinen
Auch andere Reporter führen am Bahnhof Interviews. Unter Kollegen macht der Gag die Runde, dass die Regionalzüge nach Sylt so überfüllt seien, weil so viele Journalisten nach Sylt fahren, um zu gucken, ob die Regionalzüge überfüllt seien. Der Medienhype hat sich verselbstständigt - zu verlockend war die Aussicht auf eine Konfrontation der vermeintlich "Reichen und Schönen" mit "Billigpassagieren". Die findet tatsächlich ansatzweise statt: vor einem Supermarkt in der Fußgängerzone von Westerland.
Neue Touristenattraktion: Das Lager der Punks
Rund 70 junge Leute in schwarzer Kleidung, auch einige Punks, trinken Bier, feiern und grölen gelegentlich. Viele Hunde laufen dazwischen herum. Als ich dieses "Lager" als Ganzes fotografiere, hält ein junger Mann sein Handy in die Höhe und tut so, als würde er zurückfotografieren. Denn das Lager ist zum beliebten Fotomotiv geworden, auch für die Touristen. Er will ihnen einen Spiegel vorhalten, sagt er. Dann beginnt er zu erzählen: "Ich bin seit gestern hier. Wir haben uns unten am Strand getroffen. Bierchen getrunken - ganz normal irgendwie - Kerzen angehabt, den Abend ausklingen lassen, im Schlafsack gepennt. Jetzt hängen wir hier vor dem Edeka und haben einfach Spaß - alle miteinander, komplett quer aus Deutschland."
Insgesamt rückt die Polizei am Sonnabend auf Sylt etwa zwanzig Mal zu Ruhestörungen aus, vor allem in Westerland, am Strand, und auch in Kampen. Das sei aber normales Pfingstgeschehen, heißt es von der Leitstelle Nord.
Geschäftsschädigend für die Luxusgeschäfte?
Gar nicht begeistert von dem Geschehen in der Fußgängerzone ist Nadja Leibscher, Inhaberin eines Geschäfts für hochwertige Sportmode in Sichtweite: "Täglich werden es mehr. Man weiß nicht, was passiert. Die sind aggressiv, stellen sich an die Straße, zeigen Stinkefinger. Wir haben viele Kunden, die Angst haben. Das ist nicht geschäftsfördernd." Einige Touristen nehmen es gelassen, andere sind genervt. Etwa Andreas, der mit Frau und zwei Kindern einen Tagesausflug macht. Er blickt auf die Grüppchen am Strand: "Da muss man schon jemanden finden, der das gut findet. Es ist ja bewusst auf Krawall."
Lotsen und Streitschlichter im Einsatz
Ein paar Meter weiter wird in einem Modegeschäft Sylter Gin verkostet. Die Punks wollten auch schon was abhaben, erzählt ein Mitarbeiter, hätten aber nichts bekommen. Und Geschäftsführer Karl-Max Hellner beschwichtigt: "Es ist gar nichts eingetreten. Da sind wir natürlich froh drüber und wir freuen uns ja über jeden Gast, der auf die Insel kommt. Es sind ja einige Kräfte eingesetzt - also Lotsen und Streitschlichter. Ich glaube, das ist bisher ganz gut gelungen."
Das alles konzentriert sich aber auf die 300 Meter zwischen Bahnhof und Strandübergang. Entfernt man sich aus der Fußgängerzone, dann ist es wirklich erstaunlich ruhig auf Sylt.