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Nadelöhr Stromnetz: Küste macht zu viel Wind

von Peer-Axel Kroeske

22.06.2015 (archivierter Text)
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Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein produzieren immer mehr Strom. Sogar zu viel für die bestehenden Leitungen. Deshalb müssen immer wieder Windparks vom Netz genommen werden.

Alarm in der Leitstelle der Schleswig-Holstein Netz AG in Rendsburg: Die Hochspannungsleitung Flensburg-Niebüll ist überlastet. Schaltmeister Stefan Hackbusch hat damit schon gerechnet. Schließlich frischte der Wind über Mittag etwas auf. Von Sturm kann noch keine Rede sein. Doch immer öfter muss er schon bei einer leichten Brise eingreifen. Durch den starken Zubau an Windparks stößt das Stromnetz im Norden an seine Grenzen.

Sofort klingelt das Telefon. Ein Mitarbeiter des überregionalen Netzbetreibers Tennet bittet darum, 30 Megawatt von der Leitung zu nehmen, weil das Umspannwerk westlich von Flensburg überlastet ist. Schon Sekunden später rotieren die Anlagenflügel in Sillerup, Schafflundfeld und Nordlinnau (Kreis Schleswig-Flensburg) langsamer. Jetzt ist wieder alles im grünen Bereich. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Leitung vom Netz muss. Das Abschalten habe deutlich zugenommen, bestätigen die Mitarbeiter in der Zentrale. Knapp 50.000 Mal mussten Umspannwerke in Schleswig-Holstein im Mai ihre Leistung reduzieren - Rekord. Die Windparkbetreiber werden jedoch über die EEG-Umlage entschädigt. Stromkunden zahlen die Rechnung.

Vier Mal so viele Einsätze seit Jahresbeginn

Schon im Jahr 2013 blieben nach Angaben der Bundesnetzagentur deutschlandweit 555 Gigawattstunden an erneuerbaren Energien ungenutzt, weil die Hochspannungsleitungen überlastet waren. Das entspricht 0,5 Prozent von deren Gesamtleistung. Neuere Zahlen gibt es noch nicht. Doch die Kurve weist offenbar steil nach oben. "Wir haben den Jahreswert von 2014 im ersten Quartal 2015 schon erreicht", schätzt der Leiter des Geschäftsbereichs Netztechnik Joachim Kabs.

Windparks entstehen schneller als Leitungen

Der Netzausbau hechelt dem Boom der erneuerbaren Energien hinterher. Denn Leitungen dürfen erst geplant werden, wenn der Bedarf feststeht, damit keine unnötigen Trassen entstehen. Meist sind die Windparks längst gebaut, während Klagen von Anwohnern den Bau von Hochspannungsmasten noch über Jahre verzögern. Die Abschaltungen haben allerdings auch andere Gründe. Laut Tennet wehte der Wind in den Monaten seit Herbst besonders stark. Das trug zum schnellen Anstieg der Strommenge bei. Regelmäßig müssen derzeit auch Leitungen vom Netz, weil Umspannwerke gerade ausgebaut und damit fit für die Zukunft gemacht werden.

Netzausbau in Schleswig-Holstein hilft allein nicht weiter

Doch das große Problem sind aus Sicht der Experten ausgerechnet die großen Stromautobahnen mit Höchstspannungen von 220 und 380 Kilovolt, für die Tennet zuständig ist. Innerhalb Schleswig-Holsteins geht es allmählich voran. Die Landesregierung drängt auf einen schnellen Neubau von zwei Trassen an der Westküste und in Ostholstein. Außerdem wird die Mittelachse zwischen Flensburg und Rendsburg in den kommenden Jahren verstärkt. Damit wird die Energie innerhalb von Schleswig-Holstein eingesammelt. Doch wie kommt sie von hier weg? Das Land kann voraussichtlich schon bald bei Wind und Sonne das Zehnfache des Eigenbedarfs produzieren. Zusätzlich landen in Dithmarschen mehrere Gigawatt der Offshore-Windparks an. Nach Jahren des Wartens sind jetzt die Projekte DanTysk, Butendiek und Nordsee-Ost vor Sylt und Helgoland weitgehend in Betrieb. Und das ist erst der Anfang.

Stromautobahn nach Süden frühestens 2022

Die Lösung heißt "Südlink", doch sie lässt auf sich warten. Dabei handelt es sich zunächst um zwei Kabel, die Nord- und Süddeutschland verbinden. Eines davon soll in Wilster starten und nach Bayern führen. Ein zweites ist von Niedersachsen nach Baden-Württemberg geplant. Doch Anwohner entlang der Strecke protestieren. Sie fordern ein Erdkabel statt hoher Masten. Technisch ist das bei langen Punkt-zu-Punkt-Verbindungen machbar - nach Angaben von Tennet aber teurer. Außerdem torpediert Bayern die Pläne. Dass "Südlink" plangemäß bis 2022 bereitstehen soll, erscheint zunehmend ambitioniert. Dabei sind im Netzentwicklungsplan bereits drei weitere "Südlink"-Trassen ab Heide, Segeberg und Brunsbüttel bis 2034 skizziert, denn der Bedarf steigt kontinuierlich. Für die kommenden Jahre rechnen die Experten deshalb damit, dass der Anblick von stehenden Windrädern in Schleswig-Holstein zum gewohnten Bild wird. Es könnte sein, dass die Mitarbeiter der Leitstelle Schleswig-Holstein Netz AG in den kommenden Jahren weiterhin viele Megawatt von den Leitungen nehmen müssen.


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