Warum Dänemark Deutschlands Haupt-Stromlieferant ist
von Peer-Axel Kroeske
17.08.2023 (archivierter Text)
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Aus keinem anderen Land fließt so viel Strom ins deutsche Energienetz wie aus Dänemark. Tendenz: deutlich steigend.
Wo Deutschland aufhört und Dänemark beginnt, ist deutlich an den Strommasten parallel zur A7 zu erkennen. Der deutschen Gitterarchitektur stehen dänische Betonmasten gegenüber. Diese leistungsstarke Verbindung hat seit 2020 die Karten im Stromhandel neu gemischt. Zudem gibt es eine kleinere Anbindung über die Ostsee nach Mecklenburg-Vorpommern.
Dänemark überholt Frankreich
Dänemark hat Frankreich aus deutscher Sicht als Hauptlieferant für Importstrom abgelöst und schickt inzwischen doppelt so viel Energie wie der Nachbar im Westen, dessen 56 Kernkraftwerke im vergangenen Jahr aufgrund von Korrosion, Wartung und Kühlwassermangel zeitweise zur Hälfte abgeschaltet werden mussten. Deutschland half aus und exportierte 2022 fünfmal so viel Strom nach Frankreich wie es importierte. Inzwischen hat sich die Lage etwas beruhigt.
Gleichzeitig stieg der Stromimport aus Dänemark kontinuierlich an. Dieser Trend hat sich nach der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland noch geringfügig verstärkt. Die Niederlande und die Schweiz spielen eine deutlich zunehmende Rolle. Seit Mitte April wird in ganz Deutschland mehr Strom importiert als exportiert.
Klimaneutraler Strom aus Skandinavien ist billiger
Der Import geschieht aber nicht aus der Not heraus. Deutschland könnte sich vollständig selbst mit Strom versorgen, betont Bruno Burger vom Fraunhofer Institut ISE. Doch dafür müssten Kohle- und Gaskraftwerke verstärkt hochgefahren werden, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Das ist aufgrund des europäischen CO2-Preises und gestiegener Marktpreise inzwischen teuer. Günstiger ist es, klimaneutralen Strom aus dem Ausland zu importieren. Hierbei kann Dänemark punkten: Das Land versorgt sich inzwischen überwiegend aus Windkraft.
Transit für Wasserkraft aus Norwegen und Schweden
Wenn in Deutschland allerdings Flaute ist, dann meist auch in Dänemark. "Viel von dem Strom, der bei Flensburg über die Grenze strömt, kommt in Wirklichkeit aus Norwegen und Schweden. Dänemark ist also ein Transitland", stellt Johannes Bruun vom dänischen Netzbetreiber Energinet klar.
Schwedens Energiemix beinhaltet etwa ein Drittel an Atomkraft. Die Hauptrolle spielt in Norwegen und Schweden die Wasserkraft. Sie hat einen entscheidenden Vorteil: Viele Wasserkraftwerke können ihre Leistung gezielt erhöhen, wenn der Strom besonders gebraucht wird. Wenn dagegen hierzulande gerade viel erneuerbare Energie zur Verfügung steht, exportiert Deutschland den Strom nach Skandinavien.
Norwegens Stauseen könnten Deutschland 50 Tage lang versorgen
In den norwegischen Pumpspeicherkraftwerken wird das Wasser in die Stauseen hochgepumpt, um es später wieder abzulassen. Die Energie wird damit für spätere Stunden gespeichert. Nur ein kleinerer Teil der Stauseen verfügt über Pumpspeicher. Es vergehen einige Monate oder sogar Jahre, bis zufließendes Regenwasser sie komplett auffüllt. Grundsätzlich gilt jedoch: Sie können Strom in den Momenten produzieren, in denen er gebraucht wird.
Das Potential ist enorm: Die Kraftwerke an Norwegens Stauseen können somit 87 TWh an Energie speichern. Das entspricht etwa dem deutschen Stromverbrauch von 50 Tagen. Ein Flaschenhals sind dabei die Stromleitungen. Norwegen und Schweden sind zwar über direkte Seekabel mit Schleswig-Holstein verbunden. Durch den Weg über Dänemark verdoppelt sich zudem die Kapazität auf knapp vier Gigawatt. Das entspricht je nach Tageszeit aber nur fünf bis zehn Prozent der in Deutschland benötigten Leistung.
Stromexport nach Skandinavien zu negativen Preisen
Im Mai und Juli exportierte Deutschland den Strom nach den Daten der Bundesnetzagentur im Monatsmittel sogar zu negativen Preisen nach Dänemark. Damit lohnt sich das Speichern umso mehr. Bisher geht es dabei um ein eher kleines Volumen von etwa 0,2 Prozent des in Deutschland produzierten Stroms im jeweiligen Monat. Doch bei einem Zubau erneuerbarer Energien häufen sich diese Situationen. Sinnvoll wäre es, mit der überschüssigen Energie beispielsweise grünen Wasserstoff herzustellen oder Industrien mit hohem Verbrauch dort anzusiedeln, wo der Strom entsteht, betont Bruun. Auf welchem Weg die Energie gerade unterwegs ist, lässt sich bei Energinet live verfolgen.
Neue Dimensionen: Windkraft in der Nordsee
Stromimporte von und nach Skandinavien dürften ab 2025 aber weiter zunehmen. Dann soll die schleswig-holsteinische Westküstenleitung von Süderlügum bis zu einem dänischen Knotenpunkt bei Esbjerg verlängert sein. Hier wird auch das Seekabel Viking Link nach Großbritannien angebunden.
In den 2030er Jahren soll die Nordsee dann nach den Plänen aller Anrainerstaaten zum Großkraftwerk Europas werden. Allein in Deutschland plant das Bundeswirtschaftsministerium bis 2045 mindestens 70 Gigawatt an Offshore-Leistung. Dann geht es um andere Dimensionen, bei denen Dänemark unter anderem mit einer Energieinsel 100 Kilometer vor der Nordseeküste sowie auf der Ostsee bei Bornholm eine entscheidende Rolle spielen will. Derzeit nennt Energinet eine Leistung von mindestens zehn Gigawatt bis 2040. Energiespeicher, Wasserstoffproduktion und der Netzausbau Richtung Süddeutschland werden dann nötiger denn je.
Update 23.8.: Der Text wurde um den Hinweis ergänzt, dass nur ein kleinerer Teil der norwegischen Stauseen über Pumpspeicher verfügt, um Missverständnisse zu vermeiden.