Mehrheit im Rat: Stadtwerke Flensburg werden bis 2035 klimaneutral
von Peer-Axel Kroeske
02.12.2022 (archivierter Text)
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Die Stadtwerke sollen Kohle und Gas komplett ersetzen, zehn Jahre schneller als geplant. Das Ziel gilt als ambitioniert.
In nur wenigen Monaten hat sich der Wind an der Förde komplett gedreht. Vor einem Jahr hatten die Stadtwerke Flensburg auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein noch keine konkreten Pläne, auf Gas zu verzichten. Schließlich hat das Unternehmen gerade erst 225 Millionen Euro in eine Gas- und Dampfturbinenanlage investiert. Der zweite Kessel soll erst Anfang 2023 in Betrieb gehen. Die Initiative, die seit dem Frühjahr Unterschriften für ein "Klimabegehren" sammelte, wurde deshalb zunächst begrenzt ernst genommen. Nicht umsetzbar, zu teuer, urteilten viele Akteure. Dann kam die Energiekrise. Und schließlich überreichte die Gruppe mehr als 10.000 Unterschriften.
Große Mehrheit in der Ratsversammlung
Am Donnerstag hat die Flensburger Ratsversammlung nun ohne Gegenstimmen exakt die Forderung dieses Klimabegehrens beschlossen: Die Stadtwerke sollen bis 2035 klimaneutral werden. Ein Bürgerentscheid ist damit abgewendet. Initiatorin Clara Tempel zeigt sich begeistert: "Das Klimabegehren hat sein Ziel erreicht. Die Knackpunkte sehen wir darin, dass wir natürlich die Entwicklung der Zukunft nicht absehen können." Die Initiative will weiter ein Auge darauf halten, dass der vom Rat einstimmig beschlossene Transformationsplan auch umgesetzt wird.
Zeitdruck beim Wasserstoff
Der Beschluss hat weitreichende Folgen, denn 98 Prozent der Flensburger Haushalte heizen nach Angaben der Stadtwerke mit der Fernwärme, die in den Gas- und Dampturbinen sowie den Kohlekesseln am westlichen Hafenufer produziert werden. Ursprünglich glaubten die Stadtwerke, dass sie mit dem Umstieg von Kohle auf effizienteres Gas ihren Beitrag für den Klimaschutz in diesem Jahrzehnt weitgehend erfüllt hätten. Bisher war der Ausstieg aus der Kohle bis 2030 und aus dem Gas erst bis 2045 vorgesehen. Jetzt muss alles zehn Jahre schneller gehen.
Meerwasser-Wärmepumpen schon ab 2025
Der Flensburger Ausstiegspfad orientiert sich an den Vorgaben für das globale Ziel, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. In Flensburg bedeutet das als erste Etappe: Halbierung der CO2-Emissionen bereits bis 2028. Dazu hat eine Arbeitsgruppe der Stadtwerke, an der auch die Vertreter des Klimabegehrens beteiligt waren, ein Konzept erarbeitet. Von 2025 an sollen im jährlichen Rhythmus vier Meerwasser-Wärmepumpen in der Flensburger Förde in Betrieb gehen. Spannend ist dabei die Frage, wie viel Wärmeenergie dem Wasser bei frostigen Temperaturen entzogen werden kann. Die Förde hat schließlich wenig Austausch mit der Ostsee.
Von Solarthermie bis Biomasse
Hinzu kommen weitere Schritte: Eine geringere Temperatur für die Fernwärmeflüssigkeit, die bisher mit bis zu 125 Grad aus den Kraftwerken strömt, der Einsatz von Biomasse, Solarthermie und saisonalen Wärmespeichern, Elektrodenheizkessel und schließlich eben grüner Wasserstoff. Dafür können die Gaskessel umgerüstet werden. Dabei wird kontrovers diskutiert, zu welchem Zeitpunkt grüner Wasserstoff überhaupt in ausreichenden Mengen verfügbar sein wird.
Visionen für den grünen Wasserstoff
Wenn gerade viel Wind- und Sonnenenergie zur Verfügung steht, ließe sich Wasserstoff in Flensburg auch mit einem Elekrolyseur herstellen. Dabei fallen hohe Energieverluste in Form von Wärme an, die sich aber im Fernwärmenetz verwerten ließe. Es gibt auch schon Ideen, den Wasserstoff in den Wind- und Solarparks im Flensburger Umland zu produzieren und dann über vorhandene Rohrleitungen nach Flensburg zu bringen.
Laut Gutachten keine höheren Kosten
Die Kostenrechnung enthält noch viele Unbekannte. Der Geschäftsführer der Stadtwerke, Dirk Wernicke, geht von weiteren Investitionen im dreistelligen Millionenbereich aus. Er rechnet dabei mit Zuschüssen. Die Stadtwerke sparen sich zudem die Ausgaben für künftige CO2-Emissionsrechte. Ein von der Stadt beauftragtes Gutachten kam zu dem Schluss, dass die Kosten für die Fernwärmekunden beim alten wie beim neuen Zeitplan in gleichen Umfang steigen.
Stadtwerke verfeuern derzeit mehr Kohle als Gas
Derzeit klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander: Die Flensburger Stadtwerke erwarten für den Winter neun Schiffslieferungen mit 110.000 Tonnen Steinkohle, die sich bereits auf den Lagerflächen stapelt. Nach Angaben des Unternehmens wurde aufgrund der Marktlage zuletzt wieder mehr Kohle als Gas verfeuert. Geschäftsführer Wernicke betont, Flensburg brauche Versorgungssicherheit.