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Bundestagswahl: SSW nimmt Kurs auf Berlin

von Peer-Axel Kroeske

04.03.2020 (archivierter Text)
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An der Basis des SSW zeichnet sich eine Mehrheit dafür ab, bei der Bundestagswahl 2021 anzutreten. Die Partei der dänischen und friesischen Minderheit ist von der Fünf-Prozent-Klausel befreit.

Der Saal im Flensborghus ist gut gefüllt. Maylis Roßberg findet ihren Platz zwischen vielen jungen Gesichtern. Die Sylterin mit friesischen Wurzeln, die jetzt in Flensburg wohnt, engagiert sich in der SSW-Jugend. Ihre Meinung steht schon fest: Sie gehört zu den vehementen Befürwortern der Teilnahme an der Bundestagswahl. Bei Anke Schulz kann sie damit nicht punkten. Die Harrisleerin meldete 1986 ihr erstes Kind bei der dänischen Schule an, lernte die Sprache und hat inzwischen viele Jahre Erfahrung in der Kommunalpolitik gesammelt. Sie setzt sich zu ihrem Ortsverband, in dem mehrere Skeptiker zu finden sind. Es ist die dritte von vier Regionalkonferenzen, auf denen die Partei der dänischen Minderheit ein Stimmungsbild gewinnen will. In Büdelsdorf und Schleswig hatte bereits eine deutliche Mehrheit dafür gestimmt, Kurs auf Berlin zu nehmen.

0,1 Prozent könnten ausreichen

Von 1949 bis 1953 war der SSW bereits einmal im Bundestag vertreten. Anschließend wurde die Fünf-Prozent-Sperrklausel eingeführt, die Partei der dänischen und friesischen Minderheit aber gleich wieder von ihr befreit. Grundlage dafür waren die Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955. Automatisch im Bundestag ist der SSW damit allerdings nicht. Es müssen genug Stimmen zusammenkommen, dass der Partei ein Sitz zusteht: 0,1 Prozent könnten für ein Mandat ausreichen, so zeigen Berechnungen. Das hat die Partei in der Vergangenheit nicht geschafft, sodass der SSW seit 60 Jahren keinen Anlauf mehr gewagt hat. Inzwischen haben sich die Ergebnisse deutlich verbessert.

Befürchtung: SSW könnte sich übernehmen

An dem Abend sollen alle Argumente ausgetauscht werden. Drei Diskussionsgruppen werden dazu eingeteilt. Anke Schulz meldet sich sogleich zu Wort: "Wir brauchen unsere Energie, um die Ortsvereine zu stärken. Schon jetzt finden wir nicht immer Kandidaten", gibt Schulz zu bedenken. Ein weiterer Wahlkampf würde die Ehrenamtlichen stark in Anspruch nehmen. Außerdem könne ein Abgeordneter nicht alle bundespolitischen Themen alleine abdecken. Vielleicht würde es sogar den SSW zerreißen. Die Harrisleerin warnt außerdem vor einer Zerstückelung der Parteienlandschaft wie in der Weimarer Republik, die einen Aufstieg der Rechtsextremen erst möglich gemacht habe.

Lust auf große Themen

Maylis Roßberg sieht das ganz anders. Die 19-Jährige argumentiert in der Runde, angesichts rechter Tendenzen bräuchten sämtliche Minderheiten, auch religiöse und sexuelle, gerade jetzt eine starke Stimme. "Wir müssen etwas riskieren und raus aus der Komfortzone", fordert sie. Ihre jungen Parteifreunde bekräftigen, dass der SSW auch im Bund mitreden sollte, wenn über Themen wie Klimapolitik oder Fracking entschieden wird: "Wir haben das Recht bekommen, mitzuspielen. Da können wir doch nicht sagen: Das ist eine Nummer zu groß für uns!"

Chancen und Risiken

Rund 49.000 Stimmen hat der SSW bei der Landtagswahl bekommen. Bei der vergangenen Bundestagswahl wären das 9.000 zu wenig für ein Mandat gewesen, rechnet der stellvertretende Parteivorsitzende Christian Dirschauer vor. Dennoch befürwortet der Landesvorstand die Pläne. Klar ist, dass der SSW nur in Schleswig-Holstein antreten würde. Selbst bei einem Misserfolg bekäme die Partei einen Euro pro Wähler und Jahr, so dass der einkalkulierte Kassenkredit für die Wahlkampfkosten voraussichtlich gedeckt wäre. Ein gewisses Risiko bleibt. 22.000 Euro pro Monat zahlt der Bund für jeden Abgeordneten in Berlin. In diesem Fall könne der SSW jeweils einen hauptamtlichen Sprecher, Referenten und Wahlkreismitarbeiter einstellen.

Möglich sei eine erneute Klage anderer Parteien gegen die Befreiung des SSW von der Sperrklausel. Diese habe aber kaum Chancen auf Erfolg, heißt es von den parteiinternen Experten. Als sicher gilt, dass ein Einzug in den Bundestag dem SSW - und damit der Minderheitenpolitik - viel Medienpräsenz bringen würde.

Erneut ein deutliches Ja zur Wahl

Nach vier Stunden beginnt sich die Diskussion im Kreis zu drehen. Schließlich wird schriftlich abgestimmt: 47 Mitglieder in Flensburg sind für die Teilnahme an der Bundestagswahl, 25 dagegen, drei enthalten sich. Eine weitere Regionalkonferenz ist in Husum am 12. März geplant. Anfang Juni entscheidet ein SSW-Parteitag dann endgültig darüber, ob die Partei Kurs auf Berlin nehmen soll. Völlig offen ist dabei noch, welche Kandidatin oder welcher Kandidat den ersten Listenplatz bekommen könnte.


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