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Geburtshelfer für Tausende Bücher

von Peer-Axel Kroeske

03.09.2016 (archivierter Text)
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Was verbindet die nordfriesischen Gemeinde Leck mit Literatur? Hier wird sie gedruckt! Ein Besuch in der Druckerei Clausen und Bosse, wo viele deutsche Buchtitel entstehen.

Die 8.000-Einwohner-Gemeinde Leck in Nordfriesland wird in der literarischen Welt kaum wahrgenommen. Allenfalls in Regionalkrimis taucht sie mal auf. Dabei spielt sie eine wichtige Rolle - rein physisch: Mehr als die Hälfte aller 77.000 Buchtitel in Deutschland werden in Leck gedruckt. Die Druckerei Clausen und Bosse - seit 2002 Teil des französischen Unternehmens CPI - ist eine der größten Europas. Gucken Sie mal vorne in Ihre Bücher: Garantiert ist eines dabei, das durch die Maschinen in Leck lief. Peer-Axel Kroeske warf einen Blick in die Werkshallen und informierte sich gleichzeitig, wie sich das Druckergeschäft im digitalen Zeitalter verändert:

10.000 Bücher in der Stunde - drei pro Sekunde, das ist das, was moderne Offset-Maschinen heute leisten können. In Leck rotieren sie, vor allem um den deutschen Büchermarkt zu versorgen. Dass heute hier 550 Mitarbeiter ihr Auskommen haben, dazu hat Ernst Rowohlt einen entscheidenden Teil beigetragen, der auf dem Weg nach Sylt an der kleinen Zeitungsdruckerei in Leck vorbeikam: Sven Linke, der Geschäftsleiter im Verkauf erzählt: "Jetzt passte sein Taschenbuchformat genau auf diese Zeitungsmaschinen. Und so hat es hier angefangen, dass man hier in den 50er-Jahren die RoRoRo Rowohlts Rotationsromane gedruckt hat." Er fährt fort: "Logistisch ist es natürlich eine Herausforderung hier oben ganz im Norden zu sein. Das Papier kommt aus Schweden und Finnland. Aber die Bücher müssen nach Gütersloh und Erfurt - da sind Auslieferungslager. Und das ist natürlich weit weg von hier."

Letzter Feinschliff vom Mediengestalter

Bevor das Buch durch die Maschine läuft, schicken die Verlage eine Datei. Nils Peter Jensen, gelernter Schriftsetzer, jetzt Mediengestalter, sorgt mit seinen Kollegen bei Bedarf für den letzten Feinschliff. Etwa, wenn es darum geht, Schriftarten einzubetten. Viele sind auf dem Bildschirm wunderbar zu sehen. Aber die eigentlichen Druckschriften fehlen manchmal. Dann wird bei großen Auflagen die Aluminiumvorlage für den Offsetdruck erstellt.

Stabile Zahlen im Buchmarkt

Mit neun Milliarden Euro Umsatz im Jahr ist der Buchmarkt sechsmal so groß wie der der Musikindustrie. Und die Zahlen bleiben stabil. Das E-Book stagniert. Seit zwei Jahren ist es stabil bei vier Prozent. Die Digitaltechnik verändert trotzdem den Markt: Mit Tintenstrahltechnik werden kleinere Auflagen von 500 bis 3.000 Exemplaren rentabel. Solche Titel machen inzwischen 20 Prozentdes Marktes aus, weiß Druckereileiter Wiegand Schirmann: "Hier werden im Digitaldruck die kleinen Auflagen gefertigt. Jedes Cover, jeder Umschlag würde individuell aussehen können."

All das führt zu immer mehr Titeln. Im Eigenverlag bestellen Autoren sogar Buchauflagen von weniger als 100 Stück. Trotzdem wirft die Druckerei bei jeder Bestellung einen Blick auf den Inhalt. Rechtsradikales würde abgelehnt, sagt Linke. Fremdsprachige zum Beispiel arabische Schriften prüft zum Teil der Verfassungsschutz. Die Grenzen sind fließend. Den Druck von 300.000 Koranen hat das Unternehmen vor einigen Jahren abgebrochen.

Auf Linkes Schreibtisch haben die Kollegen gerade die Produktion des Vortags abgeladen: Rund 100 Bücher. Jeweils ein Exemplar bleibt in Leck. Knapp über die Hälfte der gedruckten Bücher sind Erstauflagen, der Rest Nachdrucke. "Bei den Erstausgaben, da haben wir so drei Monate Vorlauf. Für so'n Nachdruck dürfen wir nur zehn Tage haben. Da muss es schneller gehen."

Autoren kommen eher selten in Leck vorbei. Gelegentlich lädt die Druckerei bekannte Namen ein: "Wir hatten ein schönes Erlebnis, als Isabell Varell hier vor drei Monaten gelesen hat und haben einmal Bastian Sick hier gehabt. Der hat sich dann mit seiner Mutter hier getroffen", sagt Linke.

Glitzerpappe und Oberflächenreliefs

Doch hin und wieder steht auch mal jemand spontan vor der Tür. In einigen Fällen haben die Autoren auch Spezialwünsche und melden sich. Wenn es dabei um Coverdruck geht, kann Holger Schaulandt mit vielen Tricks aufwarten. Sein Reich liegt im Kellergeschoss. Hier bringt er Pappe zum Glitzern und kann Oberflächenreliefs einarbeiten. Wenn es um Füllmaterialien oder Elektronikspielereien wie bei Kinderbüchern geht, dann haben Druckereien in Fernost eher die Nase vorn. Allerdings kostet das Lieferzeit: Und das gilt nicht nur für die Bilderbücher: "Wir haben theoretisch viel verloren nach Asien. Aber da das Geschäft immer schneller wird, ist es eine Frage der Standortsicherung, dass wir von uns aus immer ganz schnell nachliefern können", sagt Schaulandt.

Auftrag für den neuen "Harry Potter" nicht in Erstauflage

Den Auftrag für den neuen Harry Potter auf Deutsch hat C&B diesmal übrigens nicht an Land gezogen - zumindest nicht für die Erstauflage, die Ende September erscheint. Hier war sonst immer besonders viel Geheimhaltung vonnöten. Eigentlich ist ja bei jedem Buch Diskretion gefordert. Auch ohne Herrn Potter gibt es aber genug zu tun: "Wir Kassettenkinder", "Sind Tote immer Leichenblass" - die Titel laufen in Leck nur so durch. Schaulandt bedauert: "Die Bücher sind schon ein sehr schönes Produkt. Aber wir können gar nicht so viele Bücher lesen, wie wir hier produzieren."


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