Urteil im Prozess um totes Baby auf Sylt: Neun Jahre wegen Totschlags
von Peer-Axel Kroeske
03.02.2023 (archivierter Text)
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Das Landgericht Flensburg sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte seinen Sohn so kräftig geschüttelt hatte, dass er starb.
Der 52-Jährige war angeklagt, das Baby zwischen dem 4. und 6. September 2016 in Westerland auf Sylt mit erheblichem Kraftaufwand geschüttelt zu haben. Der Säugling erlitt ein Schütteltrauma und tödliche Verletzungen. Er verstarb am 6. September 2016 in einer Klinik. Der Mann hatte das Kind alleine beaufsichtigt. Revision gegen das Urteil ist möglich. Der Verteidiger hatte Freispruch gefordert.
Wechselnde Beziehungen, sechs Kinder
Der Mann war laut Gericht spätestens 2015 als Handwerker einer Baufirma aus Polen nach Sylt gekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits mehrere gescheiterte Beziehungen hinter sich. Er ist inzwischen Vater von sechs Kindern, die er mit drei Frauen hat. Das jüngste Kind sei erst nach dem Todesfall geboren, erläuterte der Richter.
Auf Sylt hatte der Mann eine Frau aus seiner Heimat kennengelernt, die dort Ferienwohnungen reinigte. Im Mai 2016 kam der gemeinsame Sohn zur Welt. Als das Baby starb, waren beide bereits wieder getrennt. Er lebte zu diesem Zeitpunkt allein in einem zehn-Quadratmeter-Appartment.
Vater übernahm kurzfristig die Betreuung: Zwei Brüche beim Baby
Das Kind blieb bei der Mutter, die aber tagsüber arbeitete. Deshalb kümmerte sich eine Betreuerin um das Baby. Diese sprang Anfang September ab, weil sie selbst schwanger war. Kurzfristig nahm sich der Mann deshalb Urlaub. In den drei Tagen in seiner Obhut erlitt das Baby zunächst einen Rippen- und einen Schienbeinbruch. Für die Mutter wahrnehmbar soll aber nur eine leichte Verletzung am Auge gewesen sein. Als sie diese bemerkte, hatte sie nach eigener Aussage angeboten, die Betreuung anders zu organisieren. Der Mann soll das aber abgelehnt haben, obwohl er aus Sicht der Strafkammer überfordert gewesen sein muss.
Schütteln mit erheblicher Kraft
Ursache für den Tod des Kindes waren laut der Sachverständigen schwerste Hirnblutungen und der dadurch eintretende Sauerstoffverlust. Der Mann müsse das Baby mit erheblicher Kraft geschüttelt haben, sagte der Richter. Seine anfängliche Darstellung, sein Sohn habe sich an der Milchflasche verschluckt und er habe ihm helfen wollen, wertete das Gericht als nicht glaubhaft. Nach dem Vorfall kontaktierte der Mann offenbar aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht den Notruf, sondern seinen Arbeitgeber. Dieser bestellte dann einen Krankenwagen.
Keine Aussage vor Gericht, keine Reue erkennbar
Vor Gericht wollte sich der Mann nicht äußern, obwohl ihm durchgehend eine Dolmetschein alles übersetzte. Ein Geständnis, verbunden mit Reue, hätte laut Gericht strafmildernd wirken können. Doch Reue konnte die Strafkammer nicht erkennen, äußern wollte er sich vor Gericht nicht. Er habe nicht einmal die Beerdigung des Kindes in Polen besucht, so der Richter. Als das Kind noch lebte, soll er zudem laut Aussage der Mutter gesagt haben, sein Sohn solle "verrecken, wenn er nervt." Erst beim Urteil brach der Mann in Tränen aus.
Internationaler Haftbefehl war unvollständig
Die beiden Körperverletzungen waren zunächst ebenfalls angeklagt, wurden dann aber nicht mehr berücksichtigt. Der Grund: Im internationalen Haftbefehl waren diese Taten nicht erwähnt. Deshalb musste die Staatsanwältin beide Anklagepunkte fallen lassen, um eine Verurteilung mit Haft überhaupt erst zu ermöglichen.
Verteidiger spricht von "tragischem Unfall"
Das Landgericht folgte mit neun Jahren Haft dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Ein halbes Jahr gilt dabei aufgrund der Auslieferungshaft bereits als verbüßt. Der Verteidiger hatte einen Freispruch gefordert. Ein Tatnachweis sei nicht mit erforderlicher Sicherheit gegeben.
Erst 2022 wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft
Die Eröffnung des Hauptverfahrens hatte sich aus verschiedenen Gründen hingezogen. Der Mann befand sich nach Gerichtsangaben zunächst auf freiem Fuß, weil keine Haftgründe gesehen wurden. Wie bei der Urteilsverkündung bekannt wurde, verbüßte er in Polen aber kurze Haftstrafen, weil er in drei Fällen keinen Unterhalt zahlte und auch Widerstand gegen die Staatsgewalt leistete. Im Sommer vergangenen Jahres konnte die deutsche Justiz keine Ladungen mehr an seine Anschrift in Polen zustellen. Er war mehrfach umgezogen. Wegen Fluchtgefahr wurde der Angeklagte schließlich im Juli festgenommen und nach Deutschland überstellt. Er saß seit September in Untersuchungshaft.