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Umweltskandal in der Schlei: Was wir wissen

von Peer-Axel Kroeske

16.03.2018 (archivierter Text)
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Die Schlei ist stark mit Plastikmüll verunreinigt. Wie kommt er in das Gewässer? Wer ist verantwortlich? Wie wird das Ufer gesäubert? Fragen und Antworten zum Umweltskandal in der Schlei.

Für Umwelt und Tourismus an der Schlei ist es eine Katastrophe: Millionen von Plastikteilen verschmutzen das gesamte Ufer. Die Schleswiger Kläranlage hat die Kunststoffpartikel monatelang eingeleitet. In den vergangenen beiden Wochen wurde das gesamte Ausmaß deutlich. Die Stadtwerke hatten im Faulturm an der Kläranlage Speisereste zugemengt. Lieferant war das Recyclingunternehmen ReFood. Zuvor waren die Lebensmittel zusammen mit den Verpackungen gehäckselt worden. Wer ist für die massive Umweltverschmutzung verantwortlich? NDR.de beantwortet wichtige Fragen.

Welche Bereiche sind verschmutzt?

Betroffen ist die gesamte Schlei zwischen Schleswig und Arnis. Luftlinie sind das etwa 25 km. Die Uferlinie erstreckt sich in diesem Bereich beidseitig auf rund 100 Kilometer. Im weiteren Verlauf nach Kappeln haben Mitarbeiter des Kreises Schleswig-Flensburg bislang (Stand: 16. März) noch keine Partikel festgestellt. Die Kläranlage liegt am Ostrand von Schleswig. Sie leitet die Abwässer über den Brautseegraben ein. Besonders betroffen ist das naturbelassene Stück direkt östlich davon bis zur Ferienhaussiedlung Winningmay. Dahinter schließt die flache, schilfbewachsene Halbinsel Reesholm an. Sie wird bei Hochwasser von der Schlei überflutet, so dass sich hier besonders viele Partikel sammeln. Stark belastet ist auch die Große Breite bei Brodersby-Burg. Die Partikel haben auch die Meerenge von Missunde passiert. Vor allem in naturbelassenen Bereichen liegen die Partikel in Schilf und Mulch wie Konfetti verteilt. Andere Abschnitte, auch die Strände, wirken sauber - ebenso das Schleswiger Louisenbad.

Wie sehen die Kunststoffteile aus?

Es handelt sich um gehäckselte Verpackungen von Lebensmitteln: kleine Plastikfetzen von wenigen Millimetern bis zu etwa drei Zentimetern Größe. Zum Teil sind es Teile von Tüten, auf denen noch Aufschriften zu entziffern sind. Hinzu kommen harte Kunststoffkrümel.

Über welchen Zeitraum hat die Kläranlage die Teile eingeleitet?

Zunächst war von zwei Jahren die Rede. Dafür spricht auch, dass der Speisereste-Zulieferer ReFood kurz zuvor das Werk in Ahrenshöft übernommen hatte und nach Angaben der Stadtwerke fortan Verpackungen beim Schreddern der Lebensmittel nicht mehr aussortierte. Inzwischen glauben Umweltbehörde und Stadtwerke aber, dass der wesentliche Teil erst Ende des vergangenen Jahres in die Schlei gelangte. Offenbar habe die Qualität der Lieferungen geschwankt, was ReFood bestreitet.

Wann erhielt die Umweltbehörde Hinweise von Anwohnern?

Im März 2016 erhielt die Untere Wasserbehörde des Kreises Schleswig-Flensburg nach eigenen Angaben den ersten Hinweis einer Anwohnerin in Klensby, die nahe dem Einlass der Kläranlage wohnt. Die Umweltpolizei ermittelte - konnte jedoch keine Ursache feststellen.

2017 sollen keine Hinweise eingegangen sein, obwohl die Badestelle Winningmay nahe der Kläranlage im Sommer stark frequentiert ist.

Die Anwohnerin meldete sich erneut Anfang Januar 2018. Daraufhin wurde die Kläranlage als Verursacher identifiziert. Ende Januar meldete ein ehrenamtlicher Betreuer auf der Vogelschutzhalbinsel Reesholm, dass er bereits im Spätsommer Plastikteile beobachtet habe.

Warum wurde die Kläranlage zunächst nicht als Verursacherin identifiziert?

Im Jahr 2016 vermuteten die Ermittler noch andere Ursachen. Ein Verschulden durch die Kläranlage erschien nach Angaben der Umweltbehörde zunächst unwahrscheinlich, weil diese vier Filterstufen besitzt. Die Experten hielten es für unmöglich, dass größere Mengen an Plastikteilen den vier Meter dicken Sandfilter in der letzten Stufe passieren.

Kommen jetzt noch Plastikpartikel ins Wasser?

Inzwischen wurde ein Siebgitter mit zwei Millimeter Durchmesser installiert. Hieran bleiben weiterhin Plastikteile hängen. Kleinere Partikel könnten weiterhin in die Schlei gelangen. Die Stadtwerke gaben an, ein Durchlauf im Faulturm dauere bis zu zwei Monaten. Sie hatten die Zugabe von Speiseresten im Januar gestoppt.

Gerieten Plastikteile in die Landwirtschaft?

Das ist noch unklar. Die Klärschlammreste aus dem Faulturm werden nach Angaben der Kreisbehörde bei einem Betrieb zwischengelagert. Meldungen, dass ein Acker bei Füsing verunreinigt sei, hätten sich nicht bestätigt.

Welche Vorgaben gelten beim Ausbringen auf Felder?

Kunststoffreste dürfen tatsächlich auf dem Acker landen. Der Anteil an Glas, Kunststoff, Metall über zwei Millimeter Größe darf nach der Bioabfallverordnung bis zu 0,5 Prozent in der Trockensubstanz betragen. Die 2017 vom Bundestag verabschiedete Klärschlammverordnung schränkt die Düngung mit dem Material ein. Allerdings gelten lange Übergangsfristen. Laut Bundesumweltministerium wird derzeit ein Drittel der Klärschlämme zum Düngen eingesetzt. Eine Alternative ist die "thermische Verwertung" des Klärschlamms in Müllverbrennungsanlagen.

Haben andere Kläranlagen oder Biogasanlagen die verunreinigten Speisereste verwertet?

Die Kreisumweltbehörde hatte anfangs gemeldet, sie habe Hinweise aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen erhalten. Näheres ist dazu aber noch nicht bekannt. Mehrere Stadtwerke berichteten auf Anfrage des NDR, die Verwendung von Speiseresten in Faultürmen sei in Schleswig ein Sonderfall. ReFood teilte mit, das Unternehmen betreibe eigene Biogasanlagen, in die fremdstofffreie Speisereste zugeführt werden.

Warum verarbeitet die Schleswiger Kläranlage Speisereste?

Nach Angaben der Stadtwerke steigert dies deutlich die Energieausbeute. Die Biogasanlage produziert Strom und Fernwärme. Stromgewinnung aus Speiseresten wird außerdem nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert. Durch den Wegfall dieser Einnahmen entstehen den Stadtwerken zusätzliche Verluste.

Wieso befinden sich Kunststoffpartikel in der Biomasse?

Der Zulieferer ReFood verarbeitet abgelaufene Lebensmittel aus Supermärkten und Reste aus der Gastronomie. Die Verpackungen werden dabei zusammen mit dem Inhalt in einer sogenannten Hammermühle kleingehackt. Damit entfällt das aufwendige Trennen von Inhalt und Verpackung durch Mitarbeiter oder Anlieferer. Stattdessen sollen Plastikteile anschließend maschinell herausgefiltert werden.

Wieso konnten die Plastikteile die Filter in der Kläranlage durchlaufen?

Darüber rätseln die Experten. Umweltminister Robert Habeck (Grüne) sagte dem Schleswig-Holstein-Magazin: "An irgendeiner Stelle ist eine Ungereimtheit, um es höflich zu formulieren." Am 15. März besichtigte ein Gutachter die Kläranlage.

Welche Vorgaben mussten die Stadtwerke einhalten?

Der Kreis Schleswig-Flensburg hatte die Zugabe von Speiseresten im Faulturm der Schleswiger Kläranlage nur unter der Bedingung genehmigt, dass diese rückstandsfrei sind. Die Plastikteile hätten also gar nicht erst im Faulturm landen dürfen. Die Frage, ob im weiteren Prozess die Filter versagten, spielt hierfür also keine Rolle.

Was steht im Liefervertrag?

Im Vertrag zwischen ReFood und den Schleswiger Stadtwerken ist Vertraulichkeit vereinbart. ReFood würde ihn offenlegen. Die Stadtwerke erlauben das aber nicht. Schleswigs Bürgermeister Arthur Christiansen sagte, er erwarte einen sehr intensiven Rechtsstreit. Beide Seiten haben aber dem NDR Schleswig-Holstein im Interview vermittelt, welche Passagen sie für entscheidend halten.

Wie rechtfertigen sich die Stadtwerke?

Stadtwerke-Chef Wolfgang Schoofs betont, ReFood habe 2016 Lieferungen in der bisher bekannten Qualität zugesichert. Mit den Lieferungen des Vorgängerbetriebs in Ahrenshöft habe es laut Schoofs keine Probleme gegeben. Zwar bestätigte Schoofs, dass im Vertrag Kunststoffreste ausdrücklich erwähnt seien. Festgelegt sei aber auch, dass ReFood diese maschinell entfernen müsse.

Wie argumentiert der Zulieferer ReFood?

Laut ReFood wird in dem Vertrag ausdrücklich auf die Kunststoffreste hingewiesen, die trotz der maschinellen Behandlung weiterhin im Gärsubstrat vorhanden sein könnten. Im Vertrag würden die Stadtwerke generell darauf hingewiesen, dass sie bei der weiteren Verwendung und Ausbringung in die Umwelt die gesetzlichen Vorgaben einhalten müssen. Dort seien dann sogar Verfahren genannt, die für eine weitere Behandlung der Biomasse in Frage kommen - zum Beispiel Siebgitter mit zwei Millimetern Durchmesser.

In welchem Verhältnis stehen die Behörden zueinander?

Die Schleswiger Stadtwerke, die das Klärwerk betreiben, sind ein kommunaler Betrieb der Stadt. Bürgermeister Arthur Christiansen ist somit Vorgesetzter des Stadtwerke-Geschäftsführers Wolfgang Schoofs. Der Fachbereich Umwelt des Kreises Schleswig-Flensburg kontrolliert den Betrieb der Kläranlage und entscheidet jetzt auch über das weitere Vorgehen bei den Reinigungsarbeiten.

Wieso wurde bei den Kontrollen der Kläranlage nichts entdeckt?

Die Plastikteile fielen angeblich optisch in den Mengen an Abwasser nicht auf. Zehn Mal im Jahr untersucht zudem ein externes Labor die Wasserqualität. Dazu wird über einen dünnen Schlauch eine Probe in ein nicht-transparentes Gefäß gefüllt. Untersucht werden aber nur biologische und chemische Schadstoffe. Kunststoff ist dabei kein Thema. Die letzte Inspektion der gesamten Kläranlage erfolgte im November 2016. Dies entspricht dem geforderten Zwei-Jahres-Rhythmus. Auch dabei fiel nichts auf.

Wird es gerichtliche Konsequenzen geben?

Wegen des großen öffentlichen Interesses ermittelt jetzt das Landeskriminalamt zusammen mit der Staatsanwaltschaft Flensburg. Hier geht es um strafrechtliche Konsequenzen. Außerdem wird es voraussichtlich ein zivilrechtliches Verfahren zwischen ReFood und den Stadtwerken geben, in dem es um die Kosten für die Reinigung und Schadensersatzansprüche geht.

Warum wurde die Öffentlichkeit erst Anfang März informiert?

Die Meldung von 2016 wurde als Einzelfall abgetan. Im Januar 2018 stand aber die Kläranlage als Verursacher fest. Fachbereichsleiter Roos sagte, die Behörde sei im Februar noch mit der Kläranlage beschäftigt gewesen. Das habe viel Zeit gebunden. NDR Schleswig-Holstein erreichte am 4. März 2018 eine E-Mail des Umweltvereins Bund zum Thema. Nach der NDR Anfrage bei den Stadtwerken am 5. März luden diese noch am selben Tag kurzfristig zu einer Pressekonferenz ein.

Wie erfolgt die Reinigung?

Die Kreisumweltbehörde teilt den Stadtwerken täglich mit, an welchen Orten und mit welcher Personalstärke die Reinigung erfolgen muss. Die Stadtwerke setzen eigene Mitarbeiter ein, beauftragen aber auch Dienstleister aus Gartenbau und Landwirtschaft. Zuletzt waren täglich rund 50 Helfer im Einsatz. Diese entfernen mit Harken das Reet und den Mulch, zwischen denen die Partikel verteilt sind, und laden es in Container.

Verträgt sich das mit dem Naturschutz?

Hierbei muss die Behörde abwägen. Im April beginnt die Brutsaison im Vogelschutzgebiet. Deshalb drängt die Zeit.

Wie lange wird die Reinigung dauern?

Voraussichtlich Monate oder sogar Jahre. Jedes Hochwasser befördert weitere Partikel ans Ufer.

Wer bezahlt die Rechnung?

Das ist Teil des Rechtsstreits. Sollten die Stadtwerke dabei unterliegen, würde die Schleswiger Stadtkasse belastet. Eventuell müssten die Stadtwerke auch ihre Tarife erhöhen. Das ist jedoch noch völlig unklar. Die Kosten könnten im Millionenbereich landen.

Treiben noch Kunststoffteile im Wasser?

Auch an bereits gereinigten Orten ist das Wasser in einigen Uferbereichen noch voll von Plastikteilen. Ab 19. März sollen Taucher den Schleigrund untersuchen und Netze durch das Wasser ziehen. Mitte April will die Kreisbehörde eine erste Schätzung wagen, welche Menge an Kunststoff in die Schlei gelangt ist.

Ist die historische Wikingersiedlung Haithabu in Gefahr?

Nach einer ersten Einschätzung des Archäologischen Landesamtes könnten zwar Kunststoffteile in wikingerzeitlichen Wrackteilen landen. Dies sei für die wissenschaftliche Arbeit aber vermutlich kein Problem. Durch das Hochwasser treiben derzeit große Mengen Wasser in das Haddebyer Noor. Die Umweltbehörde drängt darauf, durchlässige Barrieren vor beide Zuläufe zu setzen.

Ist der Verzehr von Fischen aus der Schlei bedenklich?

Der Fischereibiologe Jan Schröder vom Kreis steht mit den Holmer Fischern in Kontakt. Diese sagen, sie hätten in den Innereien noch keine Plastikteile entdeckt. Schröder hält es aber für möglich, dass die Heringe die Partikel für kleine Krebse oder Plankton halten und fressen. Dadurch könnten die Fische selbst verenden. Sobald sich der Kunststoff nach einiger Zeit in kleinere Teile zersetzt, könnten sich daran Schadstoffe anreichern, die in die Nahrungskette gelangen. Ob und in welchem Umfang, kann aber derzeit noch niemand abschätzen.

Welcher Schaden droht dem Tourismus?

Die Ostseefjord Schlei GmbH zählt derzeit 3,5 Millionen Übernachtungen im Jahr. Hinzu kommen ebenso viele Tagesgäste. Der Umsatz beläuft sich auf 280 Millionen Euro. Ein Imageverlust könnte der gesamten Region finanziell großen Schaden zufügen.


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