Pferdeklappe: Ein neues Leben für "Wanja"
von Peer-Axel Kroeske
30.06.2016 (archivierter Text)
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Drei Jahre nach dem Start ist die Pferdeklappe in Norderbrarup deutschlandweit bekannt. Sie hat inzwischen rund 700 Tiere vermittelt, deren Besitzer überfordert sind.
Donnerstagvormittag: Ein Pkw mit Hänger fährt auf den Hof der Pferdeklappe, etwas außerhalb des Dorfes Norderbrarup. Ein älteres Ehepaar bringt den Haflinger "Wanja" vorbei. Sie hatten das Tier vier Monate lang, fühlten sich aber überfordert. "Gut, dass Sie kommen, bevor das Tier Schaden nimmt", meint Petra Teegen, die Initiatorin der Pferdeklappe. Vor drei Jahren startete ihr ehrenamtliches Projekt. Bereits seit 28 Jahren hat sich die ehemalige Krankenschwester das Aufpäppeln vernachlässigter Tiere zur Lebensaufgabe gemacht.
"Pirat" ist schon 30 Jahre alt
Damals hatte sie ihr erstes Pferd "freigekauft", wie sie sagt. "Pirat" war in einer Box angebunden und in schlechtem Zustand. Jetzt sieht er blendend aus, trotz seiner 30 Jahre. Zusammen mit "Beach Boy" und "Herrn Schröder" bildet er das Empfangskommittee auf der Koppel nahe der Bahnlinie Flensburg-Kiel, auf der Pferdebesitzer die Tiere auch anonym abgeben können. Nur einen kleinen Teil der Zugänge bekommt Petra Teegen auf diese Weise. Doch sie darf nicht jedes Pferd annehmen. In einem kleinen Plastik-Kasten muss der Pferde-Pass eingeworfen werden. Die Seiten, die über die Vorbesitzer Auskunft geben, sind manchmal lückenhaft oder herausgerissen. Nicht jeder neue Besitzer trägt sich innerhalb der drei gesetzlich vorgegebenen Wochen ein. Wichtiger sind allerdings das Alter und die Impfungen.
Nicht jedes Tier darf kommen
Nach dem Tierschutzgesetz darf die Pferdeklappe nämlich nur "verhandelbare" Tiere bis zum 20. Lebensjahr annehmen. "Wanja" ist gerade an der Grenze. Petra Teegen betreibt keinen Gnadenhof, hat auch keine Zulassung dafür. In solchen Fällen verweist sie auf ihre Internetseite "Erste-Pferdeklappe.de". Dort werden ältere Tiere direkt vermittelt. Wenn die Pferde in Norderbrarup bleiben, benötigt Petra Teegen einen Abtretungsvertrag. Erst dann kann sie für weitere Kosten aufkommen. Die Kosten für Tierärzte liegen im Jahr bei 60.000 Euro, hinzu kommen Ausgaben für den Hufschmied, den Zahnarzt und das Futter. Der Verein mit 280 Mitgliedern stützt sich auf Spenden. Auch einige Stiftungen helfen bei Bedarf schnell und unbürokratisch. Wichtig sind auch Sachspenden. Eine Frau aus Hamburg ruft an: Ihr Pferd sei vor fünf Wochen gestorben. Erst jetzt könne sie darüber sprechen. Sie wolle jetzt einiges schicken.
Nicht selten schreiben die Halter seitenlange Briefe. Am Telefon hört sich Petra Teegen regelmäßig Lebensgeschichten an. "Hinter jedem Pferd steckt auch ein Mensch", betont sie. Scheidung, Demenz, Krebs, Jugendarbeitslosigkeit und Altersarmut seien die häufigsten Gründe dafür, dass die Tiere Gefahr laufen, vernachlässigt zu werden. Das sei nicht schön, man müsse es aber im Zusammenhang sehen. "Ich bin keine aggressive Tierschützerin", sagt sie.
Bestens vernetzte Tierfreunde
Wenn die Papiere fehlen, versucht Petra Teegen allerdings, den Besitzer zu recherchieren. So stand im März die Holsteiner Stute "Dorade" plötzlich auf der Weide. Petra Teegen stellte ein Foto in ihre Facebook-Gruppe, die 9.000 Mitglieder hat. Sofort kam Rückmeldung. Im Internet stößt das Thema generell auf großes Interesse. Nach einer NDR Fernsehsendung über die Pferdeklappe war die Internet-Seite der Pferdeklappe drei Tage lang nicht erreichbar. Der Server eines großen Anbieters war zusammengebrochen. Das Unternehmen spendete dann 300 Euro als Entschädigung für entgangene Spenden.
Die Zahlen gehen ohnehin in die Höhe: 700 Pferde haben seit dem Start der Pferdeklappe neue Halter gefunden, die die Tiere für einen geringen Betrag übernommen haben. "Als ich startete, rechnete ich mit 30 Pferden im Jahr. Jetzt sind es 30 im Monat", berichtet Petra Teegen. Die meisten kommen, wenn die Pachtverträge im Herbst auslaufen. Ein Mann aus Kiel ruft an: Er habe keine Zeit mehr für seine beiden Haflinger. Petra Teegen hört genau hin. Eigentlich richtet sich das Angebot der Pferdeklappe nur an Menschen und Pferde, die wirklich in Not sind. Aber Haflinger werden meist schnell vermittelt. Wenn der Halter die Tierarztkosten übernimmt, darf er kommen.
Erboste ehemalige Halter
Regelmäßig liefern zudem die Behörden beschlagnahmte Tiere an. Und regelmäßig wird Petra Teegen von den ehemaligen Haltern beschimpft und bedroht. "Einmal blickte ich schon in das falsche Ende einer Flinte", erzählt sie. Ein betrunkener Mann war plötzlich auf dem Hof aufgetaucht. Sie griff nach dem Schrotgewehr und nahm es ihm ab.
Der Erzählstoff geht ihr so gut wie nie aus. Viele Rettungsaktionen bleiben lange in Erinnerung. So rief sie einmal ein Spediteur an, der ein gesundes Tier zum Schlachter bringen sollte. Den versuchte sie, am Abend und auch in der Nacht anzurufen und startete - einmal mehr - einen Aufruf im Internet. "Als am frühen Morgen das Faxgerät des Schlachters 300 Seiten mit Protestschreiben ausgespuckt hatte, lenkte er ein", erinnert sie sich. Er ließ sich das Tier abkaufen. Später stellte sich heraus, dass für das Pferd gar keine Schlachtgenehmigung vorlag. Petra Teegen hat ihre Erinnerungen inzwischen aufgeschrieben. Die "Geschichten aus der Pferdeklappe" erscheinen Anfang August als Buch. Und als wenn das noch nicht genug wäre, schreibt sie auch Theaterstücke für die Tiere, die dann am Halfter geführt werden. Das Stück "Ein Esel kommt selten allein" war im Herbst bei der Veranstaltung "Pferde und mehr" in Großenbrode zu sehen. Auch für dieses Jahr plant sie etwas. Selbst Esel hat sie schon vermittelt, ebenso Minischweine und Ziegen. Und neulich dachte sie, sie stünde vor den ersten beiden Klappenkühen. Wie sich herausstellte, hatten die sich aber nur auf die Weide verirrt.
Am 2. Juli lädt die Pferdeklappe in Norderbrarup zu einem Tag der offenen Tür ein. Außerdem führt Petra Teegen interessierte Besucher, die sich anmelden, jeden Sonnabend über den Hof.