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Sönke Nissen: Von Nordfriesland nach Namibia

von Peer-Axel Kroeske

28.07.2020 (archivierter Text)
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Sönke Nissen war Nordfriese und ist Namensgeber eines Koogs. Sein Geld machte er in Afrika beim Bau einer Eisenbahnlinie, für den er den Tod zahlreicher Zwangsarbeiter in Kauf nahm.

Ob Hindenburg oder Bismarck - große Persönlichkeiten deutscher Geschichte werden in jüngster Zeit zunehmend kritisch gesehen. Die Folge sind unbequeme Diskussionen über Straßennamen oder Plätze, verbunden mit der kontroversen Frage, ob man sie umbenennen sollte. Ein nordfriesischer Eisenbahningenieur galt bisher als unbelasteter Kandidat: Sönke Nissen. Sein Geld machte er in Afrika, wo er sich beim Gleisbau auch Diamantenschürfrechte sicherte. Er ist Namensgeber einer Ortschaft, des Sönke-Nissen-Koogs in Nordfriesland, wo man wenig begeistert ist, dass ein Historiker jetzt in der Vergangenheit rührt.

Ab 1907 übernahm der Nordfriese und Ingeneur Sönke Nissen den staatlichen Auftrag in Namibia - damals Deutsch-Südwest-Afrika - eine Eisenbahn zu bauen. Das klingt nach fortschrittlichem Pioniergeist, doch die Realität sah anders aus, wie Historiker Marco Petersen bei seinen Recherchen in den namibischen Archiven festgestellte. "Diese Bahn war in erster Linie als Kriegsbahn vorgesehen", erklärt Petersen, "denn das Deutsche Reich kämpfte seit 1904 mit seinen Schutztruppen gegen die dort beheimateten Völker der Herero und Nama. Ein Krieg, den wir heute auch von offizieller Seite als Völkermord bezeichnen können. Und die gefangenen Männer, Frauen und Kinder wurden unter wirklich furchtbaren Bedingungen in Lager gesperrt."

Zwangsarbeit, Internierung und hohe Sterblickeit

Diese Menschen mussten Zwangsarbeit verrichten, auch für den Gleisbau. Nissen hat dabei das Leiden und Sterben noch befördert, um die Bahn pünktlich fertig zu stellen und damit seine Karriere voranzubringen. Davon ist Historiker Petersen überzeugt: "In seinen eigenen Lagern gab es eine Sterblichkeitsrate von knapp 70 Prozent. Er hat als Reaktion auf diese Toten schlicht immer neue Gefangene als Ersatz angefordert. Das war für ihn einfach die billigste Lösung. Insgesamt starben in den Lagern unter seiner Verantwortung 1.359 von 2.014 Kriegsgefangenen."

Erst seit wenigen Jahren wird die deutsche Kolonialgeschichte mit dem Völkermord verstärkt aufgearbeitet. Die Studie würde aber wohl keine Wellen schlagen, wäre Sönke Nissen nicht Namensgeber eines Kooges in Nordfriesland.

Sönke-Nissen-Koog: Norddeutsches Idyll mit schwerem Erbe

Eine schnurgerade Straße durchs flache Land, an der Seite Höfe mit grünen Dächern, viele Windanlagen, der Deich bildet den Horizont. Erst 1924 wurde dieses Land dem Meer abgerungen. Viel Geld dafür kam von Sönke Nissen. "Ohne ihn hätte es diesen Koog nicht gegeben", berichtet ein Koog-Bewohner, der zufällig auch Sönke Nissen heißt, aber nicht verwandt ist. "Erst meinten die - die Generation meines Großvaters - sie könnten das alleine wuppen. Das konnten sie nicht. Und da haben sie Glück gehabt, dass Nissen mit seinem Vermögen hier eingesprungen ist." Und er sagt gleich dazu, an die Todeszahlen glaube er nicht: "Die Belege hab ich nie gesehen."

Ähnlich sieht es Gerhard Volquardsen, der ebenfalls dort wohnt: "Ich halte das für übertrieben, das Ganze jetzt so aufzubauschen. Es sind überall Bauten entstanden, wo es vielleicht nicht ganz so war, wie es heutzutage ist."

Dirk Albrecht ist Bürgermeister der Gemeinde Reußenköge, damit auch zuständig für den Sönke-Nissen-Koog: "Ich würde mir nicht anmaßen zu sagen: 'Ich weiß, was damals passiert ist'. Das sind Mutmaßungen, dass die alle ums Leben gekommen sind. Vielleicht sind sie auch weggelaufen. Herr Petersen interpretiert das so. Wenn er sein Buch vermarkten will, dann ist das sein Recht. Vielleicht kaufen das ja jetzt auch ganz viele Leute - diesen dicken Schinken."

Namensänderung oder Denkmal für namibische Opfer?

Die Vermutung mit dem Weglaufen meint Albrecht bei einem Vortrag im Nordfriisk Institut in Bredstedt herausgehört zu haben. Dessen Direktor Christoph Schmidt widerspricht aber. Das sei ein Missverständnis: "Der Kommandeur der Schutztruppen, das ist der oberste Militär, hat notiert: 'Wahrscheinlich laufen dem Sönke Nissen die Leute weg'. Aber Sönke Nissens Unterlagen sind eindeutig, und es ist erschreckend, wie hoch die Todesquote in seinen Lagern war." Eine Umbenennung des Sönke-Nissen-Koogs findet er aber auch nicht gut: "Wenn man einfach etwas umbenennt, vermeidet man die Auseinandersetzung mit dieser Doppelseitigkeit."

Historiker Marco Petersen schlägt etwas anderes vor, übrigens auch für die Gemeinschaftsschule in Glinde, die ebenfalls nach Sönke Nissen benannt ist: "Ich könnte mir zum Beispiel gut vorstellen, dass man gemeinsam mit Vertretern aus Namibia im Sönke-Nissen-Koog ein Denkmal errichtet - und zwar für jene, die die Finanzierung des Baus unfreiwillig mit Schweiß, Blut und ihrem Leben bezahlt haben."

Doch auch diese Idee stößt bei Bürgermeister Albrecht auf wenig Gegenliebe. Er gibt zu bedenken, dass solch eine Gedenkstätte ja auch gepflegt werden müsse. Und das übersteige die Kapazitäten der kleinen Gemeinde. Beim 100-jährigen Jubiläum des Kooges, meint er, werde man sich mit dem Thema aber sicher auseinandersetzen.


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