Flensburger Luftschloss vor dem Fall
von Peer-Axel Kroeske
01.02.2016 (archivierter Text)
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Konfrontation am Flensburger Industriehafen: Aktivisten haben auf einem seit langem besetzten Gelände Barrikaden errichtet. Jetzt droht die Räumung des Geländes.
"Piss dich, Bulle" - diese Botschaft prangt auf einer der maroden Industriebaracken am Flensburger Harniskai. Besonders aufgeräumt sah es hier in den vergangenen Jahren selten aus. Aber diesmal wurde das Gerümpel strategisch verteilt: Kein Durchkommen an der Hauptzufahrt. Erst Reifen, dann ein etwa 50 Zentimeter tiefer Graben, dahinter das Tor, blockiert mit alten Möbeln und einer massiven Skaterrampe. Nur durch eine schmale Lücke an einem nicht ganz geschlossenen Gitter können Besucher Montagfrüh noch ungehindert eintreten. Über den Platz schlendert ein junger Mann im Kapuzenpullover, in der Szene bekannt als "Danny". Er ließ sich vor zweieinhalb Jahren als einer der Ersten auf der Industriebrache nieder. Der Frage, ob die hoch aufgetürmte Pyramide aus Holz und Schrott bei einer Räumung brennen soll, verneint er.
Der Flugboot-Traum und die harte Landung
Rückblick: Vor einigen Jahren hatte die Stadt die Fläche in attraktiver Lage direkt an der Förde langfristig verpachtet. Das in Großbritannien registrierte Unternehmen Highship Industries wollte dort Flugboote bauen. Doch nichts passierte. Die Kommunalpolitik hatte einem unzuverlässigen Partner zu viel Vertrauen geschenkt. Das Luftschloss zerplatzte. Doch das Gelände blieb in Hand der Firma, die sich nicht kümmerte. Somit schien die Gelegenheit im Sommer 2013 günstig. Die Kultur-Initiative "Luftschlossfabrik" besetzte das Gelände. Sie trat mit dem Anspruch an, einen Freiraum für alternative Kultur zu schaffen.
Bauwagenkultur, Reibereien und Gerichtsvollzieher
So entstanden eine Fahrradwerkstatt, ein kleines Tonstudio, Proberäume für Bands, auch Kleiderspenden für Flüchtlinge wurden hier zwischengelagert. Konzerte und Filmabende gehörten zu den unregelmäßigen, kulturellen Höhepunkten am Harniskai. DJs legten zu Partys auf. All das ohne behördliche Kontrolle. Gleichzeitig ließen sich einige Aktivisten hier nieder, in Bauwagen und auch in den Industriegebäuden.
Zehn bis zwanzig Leute wohnen ständig auf dem Gelände. Hinzu kommen Durchreisende, die manchmal nur für ein paar Tage oder Wochen bleiben. Die unterschiedlichen Interessen der Bewohner und Kulturaktivisten sorgen für Reibereien. Seit einem Jahr droht bereits die Räumung des Geländes. Die Reihen sind deshalb wieder enger zusammengerückt. Nach langem Rechtsstreit hatte die Stadt den Erbpachtvertrag lösen können. Sie setzte den Bewohnern über den Gerichtsvollzieher eine letzte Frist, das Gelände bis zum 31. Januar zu verlassen.
Räumung juristisch wasserfest?
Allerdings bleibt strittig, ob der Beschluss des Flensburger Hauptausschusses als rechtliche Grundlage für eine Räumung ausreicht. Der Anwalt der Luftschloss-Bewohner, Hendrik Schulze, setzt auf das Gewohnheitsrecht: Die Stadt habe geduldet, dass vier Bewohner offiziell am Harniskai gemeldet seien. Die Stadtwerke versorgten den Platz gegen Rechnung mit Strom und Wasser. Das Wasser wurde heute aber abgedreht. Schulze will durchsetzen, dass die Stadt nicht räumen lässt. Doch wer ist zuständig? Sein Antrag wanderte Ende Januar vom Verwaltungsgericht Schleswig zum Amtsgericht Flensburg, von dort schließlich zum Landgericht. Zu den politischen Unterstützern des Projektes gehören die Grünen. Am Dienstag will der Hauptausschuss über ihren Antrag entscheiden, die Räumung auszusetzen, bis es neue Pläne für den Harniskai gibt. Denn was die Stadt mit der Fläche machen will, hat die Politik noch lange nicht entschieden.
Stadt fehlte Ansprechpartner
Die Kulturschaffenden versuchen nun zu retten, was vielleicht nicht mehr zu retten ist. Sie kündigten an, einen Verein als verlässlichen Ansprechpartner zu gründen. Die Kommunalpolitiker hatten das immer wieder gefordert. Denn lange schien unklar, an wen sich die Stadt überhaupt wenden kann. Zuletzt fand sich zumindest eine locker organisierte Gruppe, mit der die Stadt über mögliche Ausweichquartiere verhandelte - ohne Ergebnis.
Gelände soll verteidigt werden
Die Hoffnung, dass es durch die Gespräche zu einem geräuschlosen Ende der Besetzung kommen könnte, scheint nicht zu erfüllen. Unterstützer rufen in sozialen Medien überregional dazu auf, die Luftschlossfabrik zu "verteidigen". Am Montag Nachmittag demonstrierten 150 Menschen in der Flensburger Innenstadt für den Erhalt. Gleichzeitig betont das neue "Libertare Kulturkollektiv Luftschlossfabrik", es sei nicht für das derzeitige Geschehen am Harniskai verantwortlich.