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Leben der Landärzte: Hausbesuch für fünf Euro

von Peer-Axel Kroeske

22.06.2016 (archivierter Text)
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Wenn Ärzte eine Praxis eröffnen, dann am liebsten in einer größeren Stadt. Andrea Knippert hat sich dagegen für Kappeln entschieden und versorgt viele Patienten auf den Dörfern.

Das Wartezimmer ist voll, über einen Mangel an Patienten kann sich Andrea Knippert nicht beklagen. Die Fachärztin für Innere Medizin praktiziert seit einigen Monaten in einer Kappelner Praxis, die sie sich mit zwei Kollegen teilt. Kappeln ist eine Kleinstadt mit rund 8.700 Einwohnern im Kreis Schleswig-Flensburg. Hier und in den malerischen Dörfern an der Schlei wurde einst die ZDF-Serie "Der Landarzt" gedreht. Bis Flensburg oder Schleswig sind es mehr als 30 Kilometer. Und damit kennt Andrea Knippert den Alltag des Landarztlebens.

Sprung in die Selbständigkeit

Ursprünglich stammt sie aus Kronshagen, studierte in Kiel und zog dann auf einen Resthof bei Eckernförde. Von dort pendelte sie zehn Jahre lang ins Endokrinologikum in Hamburg, in dem sie zusammen mit 40 weiteren Fachärzten angestellt war. Im vergangenen Herbst wagte sie den Schritt in die Selbständigkeit. Sie schaute sich in der Region um. In Kappeln fühlte sie sich sofort wohl. In der Praxis wurde gerade ein Nachfolger gesucht. Ihr Kollege Matthias Gloge ist froh, sie gefunden zu haben - über Mund-zu-Mund-Propaganda. Andrea Knippert mietet dort die Räume und beteiligt sich an den Personalkosten. Dass die Rechnung aufgeht, war nicht von Anfang an klar: Ärzte bekommen ihre Honorare von den Kassen erst nach einem halben Jahr. Wirtschaft und Personalmanagement kamen im Studium nicht vor. Inzwischen zeichnet sich ab: Sie kommt über die Runden.

Eine Rundtour über Land pro Monat

Mehr Idealismus als Verdienst sind die Hausbesuche auf den Dörfern. Außer der Reihe fährt Andrea Knippert nur im Notfall los. Einmal im Monat nimmt sie sich jedoch einen Tag, um sechs bis zehn Patienten auf den Dörfern zu besuchen, die selbst nicht mehr so gut auf den Beinen sind. Dazu gehört diesmal eine 90-Jährige in Rabenkirchen. Die Frau mit gebrochener Hüfte hätte Probleme, die Praxis im acht Kilometer entfernten Kappeln zu erreichen, selbst wenn sie ein Taxi abholen würde. Nun hat sie Beschwerden am Auge. Die Ärztin nimmt sich Zeit - auch um noch ein paar persönliche Worte zu wechseln.

Verdienst gedeckelt

Doch finanziell rentiert sich der Einsatz kaum. Nur 21,78 Euro kann Andrea Knippert bei Kassenpatienten abrechnen. Für die Fahrt bekommt sie nichts extra. Da ihr nur ein Viertel aller Einnahmen bleiben, bekomme sie also netto fünf Euro, rechnet sie aus. Für Privatpatienten gibt es den doppelten Betrag. Zudem können dann weitere Leistungen beim Hausbesuch vergütet werden. Andrea Knippert betont, sie würde trotzdem keine Privatpatienten bevorzugen. Von 800 Menschen, die sie betreut, sind etwa 700 gesetzlich versichert. Die gesetzlichen Kassen setzen dabei Obergrenzen nach einem Punktesystem fest. An zusätzlichen Patienten verdient die Ärztin deshalb vergleichsweise wenig.

Schon lange keine Praxis im Nachbarort mehr

Ein Blick auf das Navigationsgerät und ab zur nächsten Patientin: Frau Hansen in Grödersby hat Herzprobleme. Es geht sechs Kilometer über Schleichwege vorbei an Kornfeldern. Die Patientin kann sich noch an die Zeit erinnern, als ein Hausarzt im Nachbarort Arnis praktizierte. Das sei aber inzwischen 30 Jahre her.

Nach ihrer Tour steuert Andrea Knippert ihr Zuhause an. Und sie ist froh, dass sie nicht - wie früher oft üblich - ihre Praxis im eigenen Haus hat. Dort wäre sie wohl auch nach dem Feierabend im Einsatz, glaubt sie. Doch auch sie braucht die Zeit, um einmal durchatmen zu können.


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