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Freude bei Umweltminister und Verbänden nach Klima-Urteil

von Peer-Axel Kroeske

29.04.2021 (archivierter Text)
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Eine Pellwormer Familie war mit ihrer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich: Das Klimaschutzgesetz muss nachgebessert werden.

Das deutsche Klimaschutzgesetz ist teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe greift es zeitlich zu kurz. Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber am Donnerstag, bis Ende kommenden Jahres die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) bezeichnete die Karlsruher Entscheidung als Klatsche für den Bund: "Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht: Wer den Klimaschutz verpennt, der greift damit in unsere Freiheit, in unsere Grundrechte ein. Und das ist ganz wichtig, um auch deutlich zu machen: Wir müssen alles tun, um diese Ziele zu erreichen."

Richter: Verletzung der Freiheitsrechte

Da in dem Gesetz lediglich bis zum Jahr 2030 Maßnahmen für eine Emissionsverringerung vorgesehen sind, würden die Gefahren des Klimawandels auf Zeiträume danach und damit zulasten der jüngeren Generation verschoben, argumentieren die Richter. Einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur wie geplant auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei dann nur mit immer dringenderen und kurzfristigeren Maßnahmen machbar. Damit würden die noch jungen Beschwerdeführenden in ihren Freiheitsrechten verletzt.

Klimaschutzziele "nicht zu beanstanden"

Mehrere junge Menschen, von Pellworm und anderen Inseln, hatten Verfassungsbeschwerde eingelegt und geltend gemacht, ihre Grundrechte würden verletzt, weil die Politik nicht genügend unternehme, um die Erderwärmung einzudämmen. Die Richter verpflichteten den Gesetzgeber nun, bis Ende 2022 die Minderungsziele der Treibhausgasemissionen ab 2031 näher zu regeln. Die bis 2030 festgelegten Klimaschutzziele seien dagegen nicht zu beanstanden.

Wegweisende Entscheidung

Der juristische Teilerfolg löste nicht nur bei Umweltminister Albrecht, sondern auch bei Umweltorganisationen Jubel aus. Die Rede ist von einem großen Tag und einer wegweisenden Entscheidung. Anwälte der Umweltorganisationen sagten, dass auch die Rahmenbedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energien unzureichend seien. Denn die fossilen Brennstoffe müssten jetzt schnell ersetzt werden. Greenpeace, die deutsche Umwelthilfe und andere Organisationen erwarten jetzt, dass der Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas schneller als bisher erfolgen muss. Der Bundesverband Windenergie in Schleswig-Holstein betonte bereits, die Ausbaupläne, die 2025 enden, müssten schnell angepasst werden.

"Riesenerfolg für junge Menschen"

Glücklich zeigte sich auch die 22-jährige Pellwormerin Sophie Backsen: "Die Entscheidung ist ein Riesenerfolg für uns junge Menschen. Es ist klar geworden, dass Teile dieses Klimaschutzgesetzes nicht mit unseren Grundrechten vereinbar sind, und wirksamer Klimaschutz muss eben jetzt betrieben werden und umgesetzt werden. Und nicht erst in zehn Jahren, wenn es zu spät ist."

Juristischer Erfolg im zweiten Anlauf

Sophie, Hannes, Jakob und Paul Backsen von der Insel Pellworm, 16 bis 22 Jahre jung, standen im Zentrum der grundlegenden Frage, ob sich der Schutz vor dem Klimawandel gerichtlich durchsetzen lässt. Ihre Eltern waren zusammen mit der Organisation Greenpeace vor zwei Jahren vor dem Verwaltungsgericht in Berlin gescheitert. Damals rechneten sie damit, dass die Bundesregierung ihre für 2020 gesteckten Klimaziele verfehlt.

Diesmal war der Ansatz eine Stufe höher gesetzt: Aus Sicht der Beschwerdeführenden reichen die von der deutschen Politik gesetzten Ziele nicht aus, um zu verhindern, dass das Weltklima unumkehrbar in einen bedrohlichen Zustand übergeht.

Das CO2-Budget ist bald aufgebraucht

Der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass nur eine bestimmte Menge an CO2 in die Atmosphäre gelangen darf, um die Erwärmung zu begrenzen. Für die kritische 1,5 Grad-Marke wäre diese Menge schon Ende des Jahrzehnts aufgebraucht, wenn die Emissionen nicht sinken. Das CO2-Budget, in das auch andere Gase wie Methan einfließen, werde in dem aktuellen Reduktionspfad der Politik gar nicht berücksichtigt, heißt es in der Beschwerdeschrift.

Die Bundesregierung argumentierte in ihrer Stellungnahme, das Problem lasse sich nicht im nationalen Alleingang lösen. Die konkrete Schutzpflicht des Staates greife daher nicht. Zudem besteht aus Sicht von Bundesrat und Bundestag keine Erfolgspflicht, das Pariser Abkommen zu erfüllen. Und es sei auch kein Schutzniveau definiert. Inzwischen hat die EU ihr Einsparziel an Treibhausgasen von 40 auf 55 Prozent im Vergleich zu 1990 angehoben.

Zukunft auf Pellworm besonders gefährdet

Weil es beim Klimaschutz um das Grundrecht auf Zukunft geht, hatten sich für die Verfassungsbeschwerde junge Menschen zusammengetan. Das Grundrecht auf Berufsfreiheit und Eigentum wird vor allem in der Landwirtschaft tangiert, die sich auf Extremwetterlagen einstellen muss. Der steigende Meeresspiegel bedroht besonders die Inseln. Genau das passt auf Sophie, Hannes, Jakob und Paul Backsen, die alle interessiert sind, den elterlichen Hof weiterzuführen.

Seite an Seite mit Luisa Neubauer

Die Pellwormer hatten die Verfassungsbeschwerde zusammen mit weiteren Betroffenen von der ostfriesischen Insel Langeoog sowie aus Brandenburg eingereicht. Prominenteste Mitstreiterin ist Luisa Neubauer, bekannt durch die Fridays for future-Bewegung. Sophie Backsen lernte sie in Berlin vor gut einem Jahr persönlich kennen, als Greenpeace erstmals über den Gang zum Gericht informierte. Verfassungsbeschwerde hatten auch andere Umweltorganisationen eingereicht, über diese hat das Gericht in Karlsruhe ebenfalls entschieden.


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