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Familie Backsen von Pellworm klagt fürs Klima

von Peer-Axel Kroeske

10.01.2019 (archivierter Text)
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Laut Bundesregierung sind die deutschen Klimaziele für 2020 nicht mehr zu erreichen. Greenpeace sieht das anders - und hat einen Pellwormer Biohof zur Klage ermutigt.

Deutschland verfehlt sein Klimaziel für 2020 deutlich. Diese Prognose stammt aus dem offiziellen Klimaschutzbericht vom Juni 2018. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sagte damals, die Versäumnisse seien nicht in kurzer Zeit gutzumachen. Die Umweltorganisation Greenpeace glaubt dagegen, mit einem Politikwechsel seien die Ziele doch noch zu erreichen. Sie hat zusammen mit drei Ökolandbetrieben von der nordfriesischen Insel Pellworm, aus Brandenburg und dem Alten Land in Niedersachsen eine Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht.

Greenpeace suchte klagewillige Betriebe

Den Pellwormer Betrieb bewirtschaften Silke und Jörg Backsen mit ihrer Familie. Es ist ein Biohof mit Grünland, Ackerbau, Rindern und Schafen. "Auf die Idee, die Bundesregierung zu verklagen, kommt man ja nicht einfach so. Das fällt einem nicht morgens im Bett ein," erzählt Silke Backsen. Sie ist Mitglied bei Greenpeace. Und wohl deshalb kam die Organisation auf sie zu und fragte, ob sie vom Klimawandel betroffen sei.

Klare Antwort: Ja. Es gab Ernteausfälle. "Nach dem katastrophalen Hitzesommer ist das für alle offensichtlich. Die Zeit davor sind wir abgesoffen", stellt die Biobäuerin fest. Ihr Mann Jörg rechnet die Verluste in der Bullenmast vor: 100 Tiere hätten jeweils rund 100 Euro weniger an Einnahmen erbracht. Außerdem musste er Stroh von der Nachbarinsel Nordstrand als Futter zukaufen. Den Gesamtverlust beziffert er auf 20.000 Euro.

Pellworm wird zur Badewanne

Die Backsens klagen auch aus einem zweiten Grund. Auf Pellworm sind sie als Erste vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen. "Es ist quasi wie eine Suppenschüssel. Dann funktioniert die Entwässerung auch nicht mehr, wenn so krasse Wassermassen runterkommen," berichtet Silke Backsen von einem anderen Wetterphänomen. Bei erhöhten Pegeln in der Nordsee kann das Wasser tagelang nicht ablaufen.

Bekannte Klima-Anwältin hat die Klage vorbereitet

Als Anwältin hat Greenpeace auf eigene Kosten Roda Verheyen engagiert. Sie sorgte schon 2017 für Aufsehen, als sie im Namen eines peruanischen Bauern den Energiekonzern RWE verklagte. Die Argumentation: Das CO2 aus den Kohle- und Gaskraftwerken beschleunige den Klimawandel, so dass in Peru ein Gletschersee überlaufen könnte. Der Fall ist noch nicht entschieden. Die Anwältin betreut zudem eine Familie von der ostfriesischen Insel Langeoog, die die EU in einem weiteren Verfahren zum Klimawandel in die Pflicht nehmen will.

Schadensersatz kein Thema

Doch lassen sich die Schäden der Ökobetriebe konkret auf die deutsche Klimapolitik zurückführen? Verheyen betont, es gehe nicht um Geld: "Die Frage, ob alleine die Einhaltung des 2020-Ziels die Kläger schützt, ist eine ganz andere und rechtlich hier tatsächlich nicht relevant. Relevant ist vielmehr die Frage, ob das Gericht uns in der Argumentation folgt, dass das 2020-Ziel selbst verbindlich ist und Außenwirkung hat. Und da hoffen wir, dass die Argumentation das Gericht überzeugt. Denn letztendlich ist ja nicht jeder Kabinettsbeschluss und jede Bundesregierungsentscheidung rechtlich verbindlich."

Greenpeace: Deutschland könnte das 2020-Ziel noch erreichen

Aus Sicht von Greenpeace ließe sich das für 2020 gesteckte Klimaziel noch erreichen. Energieexperin Anike Peters von der Umweltschutzorganisation betreut das Verfahren und verweist auf eine Studie des Fraunhofer-Instituts vom August: "Um die Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren, muss das älteste Drittel der Braunkohlekraftwerke sofort abgeschaltet werden. Weitere Braunkohleblöcke müssen gedrosselt werden. Und saubere Alternativen wie Sonne und Wind müssen - so wie es im Koalitionsvertrag der Großen Koalition steht - ausgebaut werden."

Gerichtsverhandlung nicht garantiert

Die Backsens sind nun gespannt, was sie erwartet, wenn es denn überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung kommt. Im Oktober wurde die Klage eingereicht. Im Februar entscheidet sich voraussichtlich, ob sie überhaupt zugelassen wird. Nach Angaben des Verwaltungsgerichts in Berlin beträgt die durchschnittliche Verfahrensdauer derzeit ein Jahr.


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