Grenzgeschichten: Bio-Rindfleisch aus Rodenäs
von Peer-Axel Kroeske
08.02.2020 (archivierter Text)
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Die Nissens wohnen nur 300 Meter von Dänemark entfernt. An den Verkaufstagen für ihr Bio-Rindfleisch kommen viele Grenzbewohner zusammen. Deutsche und Dänen stehen Schlange.
Zwischen Gefrierschrank und -truhe warten geduldig ein Dutzend Kunden. Andrea Nissen berät bei der Auswahl der eingeschweißten Fleischportionen. "Das Rumpsteak ist eigentlich fettfrei, hat aber so eine Fettkante", erklärt sie gerade einer Kundin. Etwa einmal im Monat laden die Nissens zum Verkauf in ihren speziell dafür eingerichteten Raum ein. Und die Nachbarschaft steht Schlange - hier, wo eigentlich Niemandsland ist.
Der Hof liegt in der flachen Landschaft in Einzellage. Jovers Nissen hat ihn von seinem Vater übernommen, der als Viehhändler die Landwirtschaft nur im Nebenerwerb betrieb. Innerhalb von gut zehn Jahren haben die Nissens kräftig erweitert: Fast 700 Rinder weiden im Umland, deren Fleisch der Betrieb seit einem Jahr mit Bio-Siegel vermarkten darf.
Rinder mit französischen Vorfahren
Die Kreuzung aus den französischen Rassen Limousin und Blonde d`Aquitaine vereine Robustheit und Fleischqualität, sagt Jovers Nissen. Und so bleiben die ausgewachsenen Rinder auch in milden Winterwochen draußen. Derzeit im 20 Kilometer entfernten Ellhöft auf der sandigen Geest, ebenfalls nahe der Grenze. Auf den Marschböden am Hof ist es jetzt zu matschig. Auch die Flächen rund um das Emil-Nolde-Museum werden nur im Sommer genutzt. Die Nissens haben dort das Land von der Stiftung gepachtet. Sie werben sogar mit dem Namen des bekannten Malers.
Schleuser und Zöllner in der Grenzregion
Der gesamte Grenzstreifen ist dünn besiedelt. Das gilt auch für weite Teile Süddänemarks. Umso mehr fällt es auf, wenn Schleuser und Zoll sich hier bewegen. Jovers Nissen kann sich noch erinnern, dass in seiner Kindheit oft Schlafsäcke am Wegesrand lagen: "Dann fuhr der Zoll hier langsam vorbei, aber hatte kein Licht an. Die hatten ihr Nachtsichtgerät dabei." Sein Vater berichtet sogar, dass sich früh morgens Menschen im Graben versteckten, wenn er dort entlang kam. Auch Hubschrauber überflogen regelmäßig den Hof.
Dänemark ist allgegenwärtig
Bezüge zu Dänemark sind ganz selbstverständlich. So hilft ein dänischer Lohnarbeiter regelmäßig beim Strohpressen. Die Dänin Dorte Sönnichsen holt sich gerade zwei Steaks zum Abendbrot ab. Sie wohnt jetzt auf der deutschen Seite, ganz dicht an der Grenze und nimmt sicherheitshalber immer ihren Pass mit, wenn sie mit ihrem Hund Gassi geht. Fotografin Levke Jannichsen ist im Dorf Rosenkranz groß geworden. Auf dänischer Seite schließt dort Rudbøl an. Der Ort wurde 1920 geteilt. Im Dorfkrug treffen sich aber weiterhin Deutsche und Dänen, erzählt Levke. Und ihren ersten Job hatte sie im Grenzhandel.
Fleischversand im Strohkarton
Jetzt trommelt Levke auf Facebook und Instagram für das Weiderind. Das Biofleisch aus Rodenäs soll bekannter werden. Mit einer Drohne hat sie die Rinder gefilmt. Denn die Nissens wollen ihre Produkte künftig per Versand nach ganz Deutschland liefern. "Da haben wir Kühlkartons aus Stroh, 100 Prozent recycelbar, dann wird das mit Trockeneis rüntergekühlt und dann versenden wir das mit Express," erklärt Jovers den Ablauf. Spätestens nach 20 Stunden sollen die Kunden die Ware erhalten.
Mit Direktvermarktung unabhängig werden
Zwar gibt es bereits mehrere derartige Lieferdienste, viele allerdings von externen Unternehmen. Dass ein Hof selbst diesen Schritt wagt, sei eher selten, meint Jovers. Bisher hat die Direktvermarktung nur einen kleineren Anteil am Vertrieb. Seine Motivation: Raus aus der Mühle mit der Abhängigkeit vom Weltmarkt und den Dumpingpreisen in Supermärkten. Durch Versand und Verkauf vor Ort wollen die Nissens unabhängiger werden.
Für Nachwuchs ist gesorgt
Auch den Ackerbau will Jovers noch ausweiten. Das größte Projekt spielt sich aber im Kinderwagen ab, der während des Verkaufsnachmittags in der Ecke ruht: Nach Hanna und Jovers Junior kam zum Jahresende Lina auf die Welt.