Warning: Undefined array key "lon" in /var/www/web392/html/reportagen.php on line 29

Gelting: Vor zehn Jahren unter Wasser - und weiter ungeschützt

von Peer-Axel Kroeske

05.09.2021 (archivierter Text)
ZUM VOLLSTÄNDIGEN ARTIKEL (archive.org)

Starkregen überflutete die Straßen im September 2011. Eine Woche lang floss das Wasser nicht ab. Das Dorf ist noch immer ungeschützt.

Die leichte Senke am Süderholm in Gelting (Kreis Schleswig-Flensburg) ist kaum wahrzunehmen. 2011 trieb hier im hüfthohen Wasser ein Kühlschrank über die Straße. Er hatte sich aus der Elektrowerkstatt von Jürgen Lorenzen selbstständig gemacht. "Es hat geregnet und gewittert. Und dann sah ich schon die Massen - das ging so schnell. Zehn Zentimeter auf der Straße und dann lief das Wasser runter, am Amtsgebäude vorbei", erinnert sich seine Frau Brigitte an den Sonntagabend damals. Das Lager direkt an der Au stand innerhalb von drei Stunden anderthalb Meter unter Wasser.

Eine Woche pumpen, ein Jahr aufräumen

Das kleine Rinnsal wirkt unscheinbar. Die Au läuft bis zur B199 offen, danach muss sie in einem großen Rohr Platz finden, das vor zehn Jahren nicht ausgereicht hat. "Wenn das hier über die kleine Mauer geht, wird es kritisch", erzählt Lorenzen und deutet auf ein Mauerwerk, das für die kleine Au unter normalen Umständen völlig ausreicht, auch wenn jede Katze locker draufspringen könnte.

Acht Tage stand das Wasser im Geschäft. Erst als das Technische Hilfswerk (THW) besonders leistungsstarke Pumpen unter anderem aus den Niederlanden nach Gelting brachte, sank allmählich der Pegel. Hinzu kam der Stromausfall.

Nachdem Gelting endlich trocken gelegt war und die Au wieder in ihrem kleinen Bett plätscherte, verging noch ein Jahr mit dem Aufräumen. "Die Feuchtigkeit - die kriegst du ja nicht raus", stellt Brigitte fest. Zwei Monate liefen die Bautrockner. Die Türen mussten alle ausgewechselt werden. Ihr Wohnhaus zwei Straßen weiter war zum Glück nicht betroffen.

Kredit noch nicht abbezahlt

Es war auch viel zu organisieren. "Die Bilanzen - alles abgesoffen. Dann hab' ich einen Wertstoffcontainer besorgt, einen verschlossenen. Dem Finanzamt hatte ich vorher mitgeteilt, dass wir das entsorgen. Aber ich habe nichts mehr gehört." Jürgen Lorenzen lacht. Sie verloren auch Mieteinnahmen. Der Frisör und das Versicherungsbüro im Haus nebenan zogen aus. "30.000 haben wir aufgenommen, damit wir flüssig bleiben. Die zahlt der Junior jetzt ab." Eines der Häuser haben sie verkauft. "Da haben wir nicht viel für gekriegt - du musstest ja sagen, dass es absaufen kann", meint Jürgen. Ihren Verlust schätzen sie auf 100.000 Euro. Eine Elementarschadenversicherung hatten sie nicht. In gefährdeten Lagen winken die meisten Gesellschaften ohnehin ab.

Streit im Dorf: Polder oder Verlagerung

Noch als das Wasser in den Straßen stand, begann in Gelting die Diskussion um die Frage, wie solch ein Hochwasser künftig vermieden werden kann. Politiker gaben Förderzusagen. Der Wasser- und Bodenverband Gelting - Stenderuper Au sprach sich für die sogenannte Polderlösung aus. Grünflächen am Ortsrand sollen dabei mit einem etwa ein Meter hohen Wall umrandet werden. Doch einige Geltinger wünschen sich bis heute eine Verlegung der Au. Sie gründeten eine Initiative und unternehmen rechtliche Schritte - bisher ohne Erfolg.

Verband will sich nicht äußern

Wer in Gelting auf welcher Seite steht - das hängt vor allem von der Lage des eigenen Grundstücks ab, glaubt Lorenzen. "Ich glaube, dass einige in der Stenderuper Straße Angst haben, weil da auch schon mal die Keller vollgelaufen sind, dass es noch viel schlimmer wird, wenn der Polder bricht. Da haben die Angst gehabt."

Bürgermeister Boris Kratz verweist auf den Verband. Dessen Vorsitzender Hans-Asmus Martensen will sich nicht öffentlich äußern. Im Gespräch deutet er nur an, dass er technische und auch finanzielle Schwierigkeiten bei einer Verlegung der Au sieht.

Noch kein Angebot im Budget

Der Beschluss, den Polder zu bauen, ist gefallen. Doch auch damit sind noch lange nicht alle Hürden aus dem Weg geräumt. Der Leiter des Fachbereichs für Umwelt beim Kreis Schleswig-Flensburg, Thorsten Roos, berichtet, es werde mit einem Flächeninhaber um weniger Quadratmeter gerungen. Er hofft, dass der Kreis das "scharfe Schwert" der Enteignung nicht ziehen muss. Aktuell scheitert der Bau auch daran, dass sich keine Firma findet. Fünf Unternehmen wurden gefragt. Alle Angebote waren zu teuer.

Baubeginn im Frühjahr 2022 angestrebt

Es geht um Kosten im unteren Millionenbereich. Jetzt erfolgt eine öffentliche Ausschreibung. Nur wenn sich diesmal ein passendes Angebot findet, kann der Bau des Polders im März beginnen. "Wir planen derzeit die Fertigstellung im August 2022", sagt Roos. Die lange Planfeststellung über fünf Jahre begründet er mit dem Streit um die beiden Varianten mit mehreren hundert Einwendungen. Prüfen musste die Behörde aber nur den vom Verband beantragten Polderbau.

Der Polder reiche aus, ist Roos überzeugt, auch der Klimawandel sei berücksichtigt. Allerdings hält er es generell für besser, tief gelegene landwirtschaftliche Flächen aus der intensiven Nutzung herauszunehmen und zu vernässen, damit dort Wasser gespeichert werden kann. Hierfür stünden Fördergelder bereit. "Das fand aber bis zum heutigen Tag keine Zustimmung", zeigt sich Roos enttäuscht.

Die Lorenzens sammeln jetzt für Ahrweiler

All das ist kein Vergleich zur Situation an der Ahr, betont Jürgen Lorenzen. Sein Sohn hat die Bautrockner dorthin gespendet. Vor dem Laden steht ein Anhänger, in dem Sachspenden für die aktuelle Hochwasserkatastrophe gesammelt werden. Die Lorenzens können sich ansatzweise vorstellen, was auf die Menschen an der Ahr nun existenziell zukommt.


zurück zu nord-sh.de