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Interview mit Flüchtlingshelferin Jutta Just aus Fahrdorf

von Peer-Axel Kroeske

18.09.2020 (archivierter Text)
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5 Jahre nach der Flüchtlingswelle - Wie weit ist die Integration?

Jutta Just gehört seit sechs Jahren zum ehrenamtlichen Leitungsteam der Flüchtlingshilfe Schleswig-Haddeby. Im Interview mit NDR Schleswig-Holstein gibt sie eine Einschätzung, wie sich die Lebenssituation derjenigen entwickelt hat, die vor fünf Jahren in Schleswig ankamen.

Frau Just, wichtig sind natürlich die Sprachkenntnisse. Ich selbst bin manchmal sehr überrascht, wie schnell Kinder Deutsch lernen. Die Erwachsenen haben es schwerer. Was ist Ihr Eindruck - wie steht es um die Bereitschaft, die deutsche Sprache gut zu lernen?

Jutta Just: Wer eine gute Schulbildung hat, hat in der Regel sehr viel größere Aussichten, auch die deutsche Sprache zu lernen. Dann gibt es Leute, die haben geringe Schulbildung, aber eine große Bereitschaft. Und bei denen erleben wir, dass die Sprache grammatikalisch nicht richtig gelernt wird. Die kriegen es wunderbar hin, sich zu verständigen. Aber sie werden immer hören, dass es Ausländer sind.

Im Kopf geblieben sind die Bilder von vielen jungen Männern, die sich auf den Weg gemacht haben. Wo stehen diese Männer jetzt?

Just: Ich habe ganz am Anfang eine Gruppe von fünf jungen Syrern übernommen. Bis auf einen sind alle inzwischen in Arbeit oder in der Ausbildung. Einer lernt Veranstaltungstechnik. Einer hatte schon eine EDV-Ausbildung in Syrien. Der ist jetzt bei der Telekom untergekommen. Einer ist Tischler, einer arbeitet bei Amazon als Fahrer und einer ist Kfz-Mechaniker.

Gibt es auch welche, die vom Radar verschwinden?

Just: Es gibt Einzelne. Plötzlich war die Wohnung leer. Häufig ist es so gewesen, dass das Leute sind, die irgendwo anders in Deutschland Familie hatten und dann dahin umgezogen sind. Das ist nicht immer legal gewesen. Aber in vielen Fällen weiß ich, dass es im Nachtrag legalisiert worden ist.

Es wurde oft gesagt, dass Gleichberechtigung von Frauen und Männern für die traditionellen Familien aus den Herkunftsländern ein Konfliktpotenzial bietet.

Just: Es gibt Familien, wo Frauen ohne den Mann nicht aus dem Haus gehen. Der muss mit. Ich habe auch Familien, wo die Frauen eigentlich diejenigen sind, die durchsetzungskräftiger sind und schneller mit den neuen Gegebenheiten klarkommen, die im Grunde hier alles für die Familie regeln. Es gibt auch Familien, in denen - nach unserer Vorstellung - deutlich unterdrückende Situationen da sind. Ich habe nie erlebt, dass es zu Gewalt gekommen ist, obwohl ich glaube, dass es das gibt.

Gab es auch Trennungen?

Just: Ich habe eine Trennung erlebt, relativ schnell, nachdem die Frau mit Kindern nachgeholt wurde. Das war sehr schwierig. Eigentlich hat sie sich von ihm getrennt, und dann ist etwas sehr Arabisches aus unserer Sicht passiert. Dann sind nämlich arabische Männer und Frauen zu ihr gegangen und haben vor ihrer Haustür versucht, sie dazu zu bewegen, mit ihnen wieder zu dem Ehemann zurückzugehen. Das Problem waren die Kinder. Die blieben erst mal beide beim Vater. Da sind sie immer noch. Auch das entspricht dem arabischen Recht. Nach einigen Auseinandersetzungen ist es aber gelungen, dass die Kinder regelmäßig an Wochenenden zu der Mutter fahren. Ich bin sicher, in Syrien wäre das anders gelaufen.

Gibt es in den Familien unterschiedliche Vorstellungen, ob man zurückgeht oder nicht?

Just: Ich glaube, es gibt bei den Männern Wünsche, zurückzugehen, die sich hier viel schwerer integrieren als die Frauen. Und zwar die Männer, die hier nicht Arbeit nach ihren Vorstellungen finden und die die Sprache nicht gut genug lernen. Ich glaube, dass es eine ganze Menge Frauen gibt, die ihrer kulturellen Herkunft treu bleiben, aber die trotzdem die Freiheiten, die sie hier erleben, genießen.

Werden die meisten hierbleiben?

Just: Ich bin ziemlich sicher, wenn sie die Möglichkeit haben und wenn es ihnen erlaubt wird. Die werden hier bleiben. Ganz wichtig dabei ist die Frage, ob die Flucht politisch begründet ist. Wer durch das Assad-Regime bedroht fühlt, wird bleiben. Bei den Familien geht es auch um die Kinder. Die sind hier aufgewachsen, sprechen die deutsche Sprache perfekt, schreiben Deutsch und können in ihrer Heimatsprache nicht mehr schreiben. Sie sind hier aufgenommen in dieser Gesellschaft. Und bei den jüngeren Leuten, die als Einzelne hierhergekommen sind: Wenn sie auf einem guten Weg sind und Arbeit finden und eine Ausbildung machen - ich glaube nicht, dass sie freiwillig zurückgehen würden.

Das Interview führte Peer-Axel Kroeske.


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