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Der Poker um die insolvente Flensburger Werft FSG

von Peer-Axel Kroeske

29.06.2020 (archivierter Text)
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Hinter den Kulissen der insolventen Flensburger Werft FSG geht es rund: Es geht um stornierte Aufträge, einen möglichen Rückzug des Investors und Interesse aus Russland. Eine Traditionswerft wird zum Spielball.

Die Blase ist geplatzt: Im Februar standen noch Aufträge im Wert von knapp einer Milliarde Euro in den Büchern der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG). Jetzt gibt es für die insolvente Werft nichts mehr zu tun. Reedereien haben der Reihe nach ihre Aufträge gekündigt: zuerst im Februar dieses Jahres die australische TT-Line, die zwei Großfähren in Flensburg bauen lassen wollte. Nach der FSG-Insolvenz im März folgte die Irish Continental Group. Mitte Juni kam dann auch noch die Absage der französischen Reederei Brittany Ferries für die "Honfleur" hinzu, die bereits seit zwei Jahren in Bau ist. Derweil läuft hinter den Kulissen ein Tauziehen um die FSG. Die Hamburger Pella Sietas Werft, hinter der eine russische Holding steckt, greift nach ihrem insolventen Konkurrenten.

Aufräumen in den Auftragsbüchern

Die Stornierungen aus Australien und Irland galten intern noch als Befreiungsschlag für die FSG. Die irische Bestellung bezeichnete Gesellschafter Lars Windhorst im April selbst als Altlast. Er machte auch keinen Hehl daraus, dass die Insolvenz dazu dienen sollte, diesen Auftrag loszuwerden.

2016 hatte die FSG reihenweise Aufträge angenommen, die sich in der vereinbarten Zeit und zum angestrebten Preis nicht verwirklichen ließen. Damals hatte das von Norwegen aus geleitete Unternehmen Siem die FSG übernommen. Die Werft brauchte dringend neue Aufträge.

Mit der "W.B. Yeats" baute die FSG erstmals eine große Passagierfähre. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen und wurde sogar preisgekrönt. Nur dauerte der Bau gut ein Jahr länger als geplant und bescherte der FSG einen zweistelligen Millionenverlust.

"Honfleur" seit 18 Monaten am Pier

Seitdem stimmt der Zeitplan für andere Aufträge nicht mehr. Die "Honfleur" hinkt dem Zeitplan zweieinhalb Jahre hinterher. Das Projekt mit LNG-Flüssiggas-Antrieb gilt als noch komplexer als die "W.B. Yeats". Der Stapellauf war bereits Ende 2018. Seitdem liegt das Schiff am Pier. Kurz darauf stieg Siem aus. Investor Lars Windhorst mit seiner Tennor Holding übernahm die FSG.

Nach und nach ging die gesamte Belegschaft in Kurzarbeit. Nur ein Teil der Mitarbeiter konnte für den Innenausbau der "Honfleur" eingesetzt werden, an dem auch viele Fremdfirmen beteiligt sind. Für etwas Betrieb auf dem Gelände sorgte noch der Bau von zwei Frachtfähren, die Siem in Auftrag gegeben hatte - als die letzte im März fertig wurde, wurde die Produktion am Flensburger Westufer eingestellt. Offizieller Grund: Corona. Es folgte die Insolvenz in Eigenverwaltung.

Brittany Ferries: Verlorenes Vertrauen oder Taktik?

Brittany Ferries wurde durch die Insolvenz nach eigenen Angaben überrascht. Zu den Gründen der Stornierung der "Honfleur" schreibt die Reederei, sie habe aufgrund der andauernden Verspätungen die Zuversicht verloren. Auf die Frage von NDR Schleswig-Holstein, ob neue Verhandlungen möglich seien, gibt es keinen Kommentar von Brittany Ferries.

Üblicherweise können Auftraggeber zu einem bestimmten Zeitpunkt aussteigen, wenn sich der Bau verzögert: Damit lässt sich der Preis deutlich drücken. Der Reederei stünde es frei, mit dem Weiterbau eine andere Werft zu beauftragen, wenn die FSG ihr preislich nicht entgegenkommt.

Dieses Manöver wäre unter normalen Umständen zu erwarten gewesen. In einer Pressemitteilung der FSG hieß es jedoch, man sei überrascht von dem Rückzug. Geschäftsführer Martin Hammer betonte, es sei nicht kalkulierbar, die Großfähre auf einer anderen Werft weiterzubauen.

Ex-Eigentümer Siem weiterhin im Spiel

Laut FSG gehört die "Honfleur" der Werft. Nach Informationen von NDR Schleswig-Holstein finanziert aber Siem den Bau mit Krediten. Auch der Ex-Eigentümer ist also weiterhin im Spiel. Ins Bild passt, dass Siem Aufträge für vier weitere Frachtfähren in Aussicht gestellt hat.

In der vergangenen Woche unterbreitete nun der Gläubigerausschuss Siem ein neues Angebot. Ob es dabei um Konditionen für neue Kredite ging, blieb offen. Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD), die Mitglied im Ausschuss ist, appellierte an alle Beteiligten, an einem Strang zu ziehen. Und es hieß, die Pella Sietas Gruppe interessiere sich weiterhin für einen Kauf der Flensburger Werft.

Arbeitsplätze: Hamburg gegen Flensburg?

Die ersten Meldungen über Verhandlungen mit der russisch geführten Werftengruppe ließen in Flensburg Hoffnungen aufkeimen. Die Akteure sind untereinander bekannt: Der vorläufige Sachwalter der FSG, Christoph Morgen, ist Partner der Kanzlei von Berthold Brinkmann, der 2014 die traditionsreiche Hamburger Sietas-Werft an die Pella-Gruppe aus St. Petersburg vermittelte.

Wenn die Verhandlungen mit der FSG erfolgreich verlaufen, könnte das dem Hamburger Standort allerdings zum Verhängnis werden. Die IG Metall fordert eine Perspektive für beide Standorte. Im besten Fall ergänzen sich beide Werften. Von der FSG heißt es dazu nur, es sei nicht klar, wie viele Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Die Braut wird hübsch gemacht

Überraschend sind nun sämtliche knapp 700 Beschäftigten der FSG aus der Kurzarbeit geholt worden, allerdings nicht zum Weiterbau der "Honfleur". Sie sollen das Gelände, wie es heißt, "generalüberholen". Die Zeit drängt: Anfang August könnte das Flensburger Amtsgericht die Insolvenz eröffnen. Das Eigentum der FSG würde dann zur Insolvenzmasse, um die Gläubiger auszuzahlen.

Auch vor diesem Hintergrund sind nun alle Aktionen und Verlautbarungen zu sehen. Pella Sietas könnte nach der Stornierung durch Brittany Ferries darauf drängen, die Flensburger Werft zu einem günstigeren Preis zu übernehmen.

Windhorst will aussteigen

Nach NDR Informationen stehen FSG, Siem, Britanny Ferries, Pella Sietas und nicht zuletzt Lars Windhorst untereinander in engem Kontakt. Windhorst, so heißt es, würde mit seiner Investmentfirma Tennor gerne komplett aussteigen, nachdem er mehr als 30 Millionen Euro in die FSG investiert hat.

Dass sich Windhorsts Ausflug in die Schiffsbranche finanziell rentiert hat, gilt dabei mehr als fraglich. Branchenkenner vermuten allerdings, er habe sich vor allem mit dem Ziel engagiert, dass sich für ihn durch die Verbindung zu Siem neue Türen öffnen.

Und die FSG selbst? Sie ist zum Spielball geworden. Die Flensburger Werft könnte bei einem Einstieg von Pella Sietas in Zukunft die Schiffe bauen, für die der Standort Hamburg nicht geeignet ist. Damit wäre die FSG einmal mehr knapp am Abgrund vorbei geschrammt.


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