Flensburger Werft weiter mit ungewissem Kurs
von Peer-Axel Kroeske
10.05.2019 (archivierter Text)
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Die Auftragsbücher voll, die Halle leer - die Situation der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) wirft 100 Tage nach dem dramatischen Wechsel der Geschäftsleitung viele Fragen auf.
Ende Januar stand die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG) kurz vor der Insolvenz. Dramatische Momente damals: Wenige Minuten vor einer Betriebsversammlung enthob der Mutterkonzern Siem den damaligen Geschäftsführer seines Amtes und setzte eine neue Leitung ein. Am 10. Mai ist sie am 100. Tag im Amt. Welchen Kurs die Werft nimmt, ist noch immer nicht klar. Die Situation aber ungewöhnlich: Obwohl die FSG sechs Neubauten zum Teil unter Zeitdruck liefern soll, ist die Werkshalle leer und ein Teil der Belegschaft ist seit dem 6.Mai auf Kurzarbeit.
Neubauten verschoben, Konzentration auf die "Honfleur"
Offiziell teilt die FSG mit, sie habe den Baubeginn des nächsten geplanten Schiffes für die Muttergesellschaft Siem verschoben. Dabei handelt es sich um das mittlerweile achte Standard-Frachtschiff, mit dem Siem Produktionslücken schließt. Ziel sei ein "optimaler Fortschritt" beim Bau der halbfertig am Pier liegenden Großfähre für die französische Reederei Brittany Ferries. Hierfür werden bestimmte Arbeiter gebraucht, andere nicht. Die "Honfleur" ist das zweite Riesen-Passagierschiff der FSG. Den Auftakt machte die "W.B.Yeats" für den irischen Auftraggeber ICG. Der Bau dieses Schiffes hatte sich mehrfach verzögert. Am Ende machte die Werft einen Millionenverlust. Die FSG hatte den Vertrag während einer Auftragsflaute ausgehandelt. Offenbar war der Kaufpreis zu niedrig angesetzt. Hinzu kam eine Konventionalstrafe für die verspätete Ablieferung.
Geordneter Rückzug der Muttergesellschaft
Die Muttergesellschaft Siem unter der Leitung einer norwegischen Familie trat daraufhin den Rückzug an. Der deutsche Finanzinvestor Lars Windhorst, bekannt für hochspekulative Geschäfte, übernahm 76 Prozent der FSG-Anteile. Siem behielt aber die strategische Führung und ersetzte FSG-Geschäftsführer Rüdiger Fuchs durch einen Mann aus den eigenen Reihen: Alexander Gregg-Smith. Er lehnte bisher sämtliche Interview-Anfragen des NDR ab.
Millionen am Pier
Ende Januar stand die Werft nach Informationen des NDR auf des Messers Schneide. Im Falle einer Insolvenz hätte Siem möglicherweise bereits investiertes Geld versenkt: Die "Honfleur" sowie eine Frachtfähre am Pier wären zur Insolvenzmasse geworden. Geschätzter Wert bei Fertigstellung: 200 Millionen Euro, weit mehr als die 33 Millionen Euro Eigenkapital von Investor Windhorst. Üblicherweise zahlen die Auftraggeber erst bei Auslieferung eines Schiffes, bei der "Honfleur" nach jetzigem Stand zum Jahreswechsel 2019/20.
Das zweite Schiff für Irland
Doch gleichzeitig kommt das nächste Großprojekt nur langsam voran: Der Bau einer weiteren Großfähre für Irland. Ein Grund hierfür: eine offenbar überlastete Konstruktionsabteilung. Michael Schmidt von der IG Metall bestätigt, dass viele Ingenieure die FSG verlassen hätten. Allerdings droht die Gefahr, dass die Werft mit diesem Schiff erneut einen Millionen-Verlust einfährt, falls der Kaufpreis wieder zu niedrig sein sollte. Nach eigenen Angaben verhandelt die FSG derzeit mit Auftraggebern.
Keine klaren Signale
Unklar ist, mit welchen Argumenten die FSG dabei Zugeständnisse erreichen will. Aus Sicht von Experten ist die Werft vertraglich in der Pflicht zu liefern. Der derzeitige Verzicht der FSG auf Landesbürgschaften deutet aber darauf hin, dass die Geschäftsleitung sich alle Optionen offen halten will. Werften benötigen üblicherweise Kredite im dreistelligen Millionenbereich, um den Bau von Schiffen vorzufinanzieren. Diese gewähren Banken aber nur zu vertretbaren Konditionen, wenn der Staat dafür bürgt. Voraussetzung ist ein Gutachten, das der jeweiligen Werft eine gute Perspektive bescheinigt. Nach Informationen des Wirtschaftsministeriums hat die FSG noch kein Gutachten in Auftrag gegeben.
RoRo, RoPax, Spezialschiffe oder Zulieferung?
Eine entscheidende Rolle für die Zukunft der FSG spielt die Entwicklungsabteilung. Generell hätten Werften in Deutschland nur eine Chance am Markt, wenn sie eigene Prototypen entwerfen, meint Schiffbau-Professor Stefan Krüger von der TU Hamburg. Hierfür kommen mehrere Segmente in Frage:
"RoRo"-Frachtfähren: Die Flensburger Werft hatte sich lange Zeit auf Frachtfähren spezialisiert. RoRo steht für Roll-On-Roll-Off, bezogen auf die LkW-Trailer. Hier gilt die Konkurrenz aus Fernost aber inzwischen als sehr stark. Experten halten es für möglich, dass die RoRo-Nachfrage infolge des Brexits kurzfristig steigt, da es im Lkw-Verkehr nach Großbritannien über den Eurotunnel zu Verzögerungen kommen könnte.
"RoPax“-Passagierfähren: Mit dem Bau von riesigen Passagierfähren hat die FSG Neuland betreten. Sie passen gerade noch so in die Produktionshalle. Die Anforderungen bringen die Werft an den Rand ihrer Belastbarkeit. Immerhin: Das erste Ergebnis kann sich sehen lassen: Die "W.B.Yeats" wurde technisch einwandfrei ausgeliefert und hat bereits zwei Auszeichnungen für ihr Konzept erhalten. Allerdings machte die FSG einen hohen Verlust.
Spezialschiffe: Der Einstieg von Siem während der FSG-Krise 2016 hatte einen wichtigen Grund: Der Konzern hatte zwei so genannte Offshore-Schiffe für die Erschließung von Ölquellen in der Nordsee bestellt. Deren Bau hatte damals bereits begonnen. Weitere Bestellungen sind nicht mehr erfolgt. Auch im Segment der Militärschiffe hat die FSG in früheren Jahren mitgemischt, zuletzt 2011 mit dem Decksaufbau für den Einsatzgruppenversorger "Bonn".
Zulieferung: Die FSG kann nach Ansicht einiger Beteiligter effizient Stahlbauarbeiten ausführen und mit internationalen Wettbewerbern konkurrieren - trotz höherer Löhne. Das Markenzeichen der Flensburger Werft war aber bisher der qualitativ hochwertige Bau eigener Schiffe. Je mehr die FSG davon abrückt, desto eher wird das Unternehmen austauschbar.
Belegschaft ist zuversichtlich
Der Betriebsratsvorsitzende Thomas Jansen zeigt sich überzeugt, dass die Werftleitung die "Yeats"-Nachfolge bauen will. Er betont zudem die gute interne Zusammenarbeit mit der neuen Leitung. Auch Michael Schmidt von der IG Metall glaubt daran, dass die Gesellschafter die FSG erhalten wollen, da bereits weitere Projekte im Gespräch seien. Die Reedereien in Irland und Frankreich wollen sich nicht zu Details äußern. Zudem hat die FSG auch noch den Bau von zwei Großfähren für Australien vereinbart, die im nächsten Jahrzehnt die Insel Tasmanien mit dem Festland verbinden sollen. Die dortige Regionalregierung betont, dass noch kein Geld geflossen sei. Alternativen würden geprüft, aber nur für den Notfall.