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Flüchtlinge in Süderbrarup - ein Jahr danach

von Peer-Axel Kroeske

14.03.2017 (archivierter Text)
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Vor einem Jahr hat NDR Reporter Peer Axel Kroeske eine syrische Großfamilie besucht, die in Süderbrarup im Kreis Schleswig-Flensburg gelandet ist. Was hat sich seitdem getan?

Dutzende Kinder wirbeln schon am Eingang des geräumigen Altbauhauses herum. Der Besuch bei Familie Alsayed beginnt fast genauso wie vor gut einem Jahr, als ich sie zum ersten Mal kennenlernte. Doch die Verständigung klappt besser. Die achtjährige Loraya und die zehn Jahre alte Asma zählen ihre deutschen Freundinnen auf. Beide gehen gern zur Schule und haben erst hier lesen und schreiben gelernt – gleich auf Deutsch. Die arabische Schrift beherrschen sie nicht. Das gilt auch für den 18 Jahre alten Mohammed, obwohl er in Syrien fünf Jahre zur Schule ging. Jetzt besucht er in Kappeln das Berufsbildungszentrum BBZ. Er würde gerne Metalltechniker werden und in Deutschland bleiben, sagt er. In Süderbrarup hilft er bei der Tafel mit. Zusammen mit Mahmud ist er auch bei der Jugendfeuerwehr dabei.

Taxifahrer ohne Führerschein

Bei den Erwachsenen merkt man, dass ihnen die deutsche Sprache noch immer schwer fällt. Mustafa würde gerne wieder als Taxifahrer arbeiten. Doch noch darf er nicht hinter das Lenkrad. Sein Führerschein ist in Syrien geblieben. So muss er ganz von vorn anfangen - und das ist teuer. Hätte er das Papier dabei, wäre nur ein Ergänzungskurs nötig.

Junge Mütter bleiben unter sich

Auf einem Sofa in der Ecke sitzen vier verschleierte, junge Frauen. Sie können sich noch gar nicht verständigen. Der Grund ist nicht zu übersehen: Jede hat ein Baby auf dem Arm. Deshalb wurden sie vorerst vom Integrationskurs befreit. Einige sind schon wieder schwanger. "Wir reden zu Hause ein bisschen Deutsch, dass die Frauen es lernen", sagt Mohammed. Einige gehen zu den Frauentreffs mit Kinderbetreuung, die das Familienzentrum anbietet. Auch dort werden sie dazu ermuntert, Deutsch zu sprechen. "Wenn die Frauen viel Kontakt untereinander haben, ist die Notwendigkeit aber nicht so groß", muss Koodinatorin Annedore Rönnau feststellen.

Freiwillige Rückkehr nach Syrien

Einer der Brüder kehrte nach Syrien zurück. Seine Frau mit Baby und weiteren Familienmitgliedern hing in der Türkei fest. Ohne gültige Papiere war eine Zusammenführung illusorisch. Ohnehin haben die Syrer seit Mitte 2016 kaum noch Aussichten, ihre Partner und Kinder nachzuholen. Jetzt seien wieder alle in der Kleinstadt nahe Aleppo, berichtet die Familie, untergebracht in einem Zeltlager mit 1.000 Menschen in einem Wald. Gelegentlich kommt ein Anruf. "Die sagen: Ihr müsst in Süderbrarup bleiben. Kein Essen, kein Arzt, kein Krankenhaus", erzählt Mohammed.

Kein Nachzug der zweiten Ehefrau

Hamid konnte zumindest seine erste Frau mit drei Kindern nachholen. Seine zweite Frau mit weiteren zwei Babys hat aber keine Chance. In Deutschland ist die Doppelehe strafbar. Auch sie lebt angeblich in einem Zelt.

Syrer mit unterschiedlichem Lebensstil

Die Alsayeds haben inzwischen syrische Nachbarn bekommen, zu denen aber nicht viel Kontakt besteht. Fadi und Norma Aleisami stammen aus Damaskus, haben zwei kleine Töchter und gehören der religiösen Minderheit der Drusen an. Der Mann kam schon vor zwei Jahren über die Balkanroute, Frau und Kinder sind erst seit zwei Monaten hier. Ihr Auftreten und Lebensstil wirkt viel westlicher. Fadi sagt, er habe ausschließlich Kontakt zu Deutschen in Süderbrarup.

Geduld beim Jobeinstieg

Bei den Vorstellungen vom Berufsleben prallten anfangs zwei Welten aufeinander. Viele Flüchtlinge mussten erst verstehen lernen, dass sie ohne anerkannte Ausbildung nicht weit kommen, auch wenn sie zu Hause zum Beispiel schon als KfZ-Mechaniker gearbeitet haben. Fadi Aleisami hat es mit seinem Mini-Job als Pizza-Bäcker schon weit gebracht. Damit kann er sich jetzt ein Auto finanzieren. Sein Traum: ein Restaurant in Berlin zu eröffnen. Ihm ist klar, dass es noch ein weiter Weg bis dahin ist.

Paten trennen sich von Familien

Weiterhin betreuen in Süderbrarup rund 50 ehrenamtliche Helfer die 220 Flüchtlinge. Auch für sie hat sich in dem Jahr vieles verändert. Siegfried Stehmann kümmerte sich lange um eine albanische Familie. Die Eltern hatten Deutsch gelernt, absolvierten Praktika, wurden aber jetzt ausgewiesen. Angelika Schmitzek-Rambeck betreut weiterhin eine syrische Familie. Sie resignierte aber bei einer muslimischen Familie aus Tschetschenien. Ihr Fazit: nicht integrationswillig. Die Frau darf nicht eigenständig zu Treffen gehen. Die Kinder werden nur gelegentlich zur Schule geschickt. Annedore Rönnau kann den Rückzug der Helferin verstehen: "Die Paten sollten sich nicht übernehmen", betont sie.

Kurse für die Helfer

Inzwischen bietet der Kreis Schleswig-Flensburg auch Kurse für Paten an. Es geht um den Umgang mit Abschiebungen oder interkulturelles Wissen. "Das hätten wir vor zwei Jahren gut gebrauchen können. Jetzt haben wir uns vieles selbst erarbeitet", meint Annedore Rönnau. Trotzdem findet sie die Angebote gut. Die ehrenamtlichen Sprachkurse in Süderbrarup sind weniger geworden. Die offiziellen Integrationskurse decken den Bedarf weitgehend ab.

Emanzipation unter Migranten

Die Familienzusammenführungen haben den Syrern wieder eine Perspektive gegeben. Doch neue Konflikte brechen auf. Syrische Frauen würden versuchen, eigenständiger aufzutreten, berichten die Helfer. Nicht immer sind die Männer damit einverstanden. "Auch Kinder wachsen in dieses Rollenbild hinein, wenn etwa ein kleiner Junge seiner Schwester ständig das Spielzeug wegnimmt, ohne dass jemand einschreitet", sagt Angelika Schmitzek-Rambeck. Sie erntete Unverständnis, als sie die Eltern darauf ansprach.

"Nur eines kann helfen", sagt Annedore Rönnau: "Mehr Angebote, wo Deutsche und Flüchtlinge gemeinsam etwas unternehmen." Sie will alle Deutschen ermutigen, syrische Nachbarn mal einzuladen oder die neuen Mitschüler bei Kindergeburtstagen einzuladen. Es passiere schon viel. Aber es könnte eben noch mehr sein.


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