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Flüchtlingsalltag auf dem Land

von Peer-Axel Kroeske

19.02.2016 (archivierter Text)
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Im Süderbraruper Amtsgebiet haben rund 200 Flüchtlinge ein neues Zuhause gefunden. Familiennachzug, Sprachkurse, Rollenbild von Mann und Frau - diese Themen bestimmen dort die Flüchtlingsarbeit.

In einem alten Süderbraruper Haus herrscht heute viel Trubel. Für ein gemeinsames Foto kommt die Großfamilie Alsayed aus Aleppo in dem spärlich eingerichteten Wohnzimmer zusammen. Erst die Männer, dann strömen verschleierte, junge Frauen und Kinder herein. Sie postieren die Kleinsten auf dem Tisch, die anderen stellen oder setzen sich drumherum.

Die Männer kamen vor gut einem Jahr nach Deutschland. Mostafa spricht bereits etwas Deutsch. Er erzählt, er habe als Taxifahrer und in vielen Gelegenheitsjobs in der syrischen Stadt Aleppo gearbeitet, bevor er sich zur Flucht über Libyen entschloss. Mehrere Tage trieb das Boot auf dem Mittelmeer. Zwischen der Türkei und Griechenland waren damals noch weniger Schleuser aktiv. Im Herbst kamen Frauen und Kinder hinterher. Sie nahmen die Balkanroute.

Familiennachzug bereits erfolgt

Ein offizieller Familiennachzug, über den die Politik derzeit lebhaft diskutiert, sieht allerdings anders aus. Dieser müsste offiziell beantragt werden. Auch einfache Deutschkenntnisse wären nachzuweisen. Doch sie machten sich einfach auf den Weg, steuerten die Erstaufnahmen in Neumünster und Boostedt an. In Süderbrarup im Kreis Schleswig-Flensburg hat die weitläufige Familie schließlich wieder zusammengefunden. Nur die Eltern leben noch in der zerstörten Heimat. Gelegentlich kann Mostafa mit ihnen telefonieren, wenn die Leitung nicht zusammenbricht.

Flüchtlingspaten- Helfer im Behördendschungel

Familie Alsayed mit 36 Mitgliedern stellt jetzt fast ein Prozent der Süderbraruper Bevölkerung. Den verstärkten Nachzug dokumentieren auch die aktuellen Zahlen aus dem Amtsgebiet. "Knapp die Hälfte der 200 registrierten Flüchtlinge sind inzwischen Minderjährige in ihren Familien", stellt Annedore Rönnau fest. Die Kindergärtnerin koordiniert im Süderbraruper Familienzentrum soziale Angebote in dem Ort. In einem der Räume treffen sich bei Kaffee und Keksen gerade die Flüchtlingspaten.

Mittlerweile helfen 45 Bürger den Zugereisten regelmäßig bei Behördengängen und Problemen aller Art. Dabei sind sie manchmal auch genervt. Einige Helfer haben etwa den Eindruck, dass einige Flüchtlinge schon bei jeder leichten Erkältung zum Arzt wollen. Mit der elektronischen Gesundheitskarte vereinfacht sich jetzt der Gang in die Sprechstunde. Vorher mussten die Flüchtlinge mithilfe der Paten jeden Arztbesuch formell beantragen.

Kulturschock: Kondome im Supermarkt

Auch das Rollenbild von Mann und Frau sorgt für Gesprächsstoff. Zwei der syrischen Männer sind mit jeweils zwei Frauen verheiratet. Einige der Frauen wirken zurückgezogen. "Bis sich die Lebensweise ändert, dauert es sehr, sehr lange. Sie sind damit aufgewachsen. Bei den Kindern kann man vielleicht was machen", meint Flüchtlingspatin Nadja. Die gebürtige Afghanin ist selbst mit einem deutschen Mann verheiratet. Eine andere Patin erzählt, sie habe einer Gruppe von Afghanen im Supermarkt einfach mal gezeigt, wo die Kondome hängen - ein kleiner Kulturschock für die Neu-Süderbraruper.

In der Nachbargemeinde Mittelangeln fand kürzlich ein besonderer Abend statt. Einheimische erklärten den Flüchtlingen, wie Männer und Frauen hierzulande miteinander umgehen. "Von Mann zu Mann, das kommt vielleicht auch besser bei den Männern an. Ich hab da nur positive Rückmeldung bekommen", berichtet Helferin Sabrina Burgdorf. Vielleicht wäre das auch ein Ansatz für Süderbrarup oder andere Gemeinden.

Licht und Schatten beim Spracherwerb

Doch selbst wenn die Flüchtlinge bereit sind, sich darauf einzulassen, stellt sich die Frage, ob sie alles verstehen. Die Paten nutzen ausgiebig die Übersetzer-Apps ihrer Handys, stoßen bei heiklen Themen aber schnell an die Grenzen. Es kam schon zu einigen Missverständnissen.

Lehrerin Anna gibt im Süderbraruper Familienzentrum ehrenamtlich Deutschkurse. Sie selbst stammt aus Kasachstan. Ihre Familie hat deutsche Wurzeln. Ihre erwachsenen Schüler können nach einem Jahr auf einfache Fragen antworten, mehr aber nicht. Mit zwei jugendlichen Mädchen aus dem Kosovo klappt die Unterhaltung dagegen schon ganz gut. Ihre Zimmer sind mit Vokabelzetteln dekoriert. Die Jüngeren lernen einfach deutlich schneller.

Fast 1.000 Stunden an Kursen

Fast 1.000 Stunden an Kursen

Inzwischen besuchen viele Flüchtlinge auch offizielle Angebote. So nehmen einige Angehörige der Großfamilie Alsayed ein Angebot der Handwerkskammer wahr, die einen täglichen Sprachkurs mit insgesamt 300 Stunden organisiert. Zusätzlich müssen sie regelmäßig zu einem Integrationskurs (660 Stunden) nach Kappeln. Die Helfer beklagen allerdings, die Behörden würden Analphabeten und Hochschulabsolventen oft in einen Topf werfen. Das Problem scheint sogar noch tiefer zu liegen.

"Das Ordnungsamt erfährt nicht, was die Leute in ihren Heimatländern beruflich gemacht haben", kritisiert eine Helferin. "Wir wissen nichts über die schulische Situation. Wir wissen nicht, welche Familienangehörigen schon in Deutschland sind. Das ist sehr wichtig, weil häufig das Streben, zur Familie zu kommen, andere Dinge behindert." So werde viel Potential verschenkt. Auch die Sprachkurse selbst haben offenbar unterschiedliche Qualität. "Englisch, Deutsch und Arabisch werden in manchen Fällen bunt gemischt", berichtet Helferin Sabrina Burgdorf.

Mit dem Rad zur Arbeit

Dabei sind Sprachkenntnisse praktisch unverzichtbar, um einen Job zu bekommen. Und der Wunsch zu arbeiten ist groß - auch bei den Alsayeds. Neben der Sprache gibt es allerdings weitere Hürden. So könnten syrische Flüchtlinge zum Beispiel nicht einfach einen Job als Taxifahrer ausüben, weil ihre Führerscheine aus der Heimat nicht anerkannt würden, sagt Koordinatorin Rönnau. Ohnehin müssen die meisten Flüchtlinge auf das Autofahren in Deutschland verzichten, weil die Kosten dafür zu hoch sind. Deshalb fahren viele Flüchtlinge Fahrrad. In den ländlichen Regionen versuchen Helfer auch, Fahrdienste zu organisieren. Denn ohne Auto gestaltet sich die Arbeitssuche a


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