Flensburg - das Flüchtlingstor nach Skandinavien
von Peer-Axel Kroeske
30.09.2015 (archivierter Text)
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Im Flensburger Bahnhof steigen täglich bis zu 1.000 Flüchtlinge und Migranten in die Züge nach Skandinavien um. Die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer haben alle Hände voll zu tun.
Es ist 6 Uhr: Für Daniela* beginnt jetzt die Schicht. Die Mutter von vier Kindern engagiert sich ehrenamtlich als Flüchtlingshelferin am Flensburger Bahnhof. Hauptberuflich managt sie das Büro ihres selbständigen Ehemannes und ist dort an keine Zeiten gebunden. Da die Helfer verlässliche Strukturen brauchen, arbeiten sie inzwischen nach Schichtplänen. Daniela ist bis 13 Uhr am Infopoint eingeteilt.
Spenden innerhalb weniger Stunden gesammelt
Einzelne Familien und allein reisende Männer haben in der Bahnhofshalle übernachtet. Doch schon bald fahren Busse vor, aus denen 260 Menschen quellen. Sie waren am späten Abend in Flensburg gestrandet und bekamen keinen Anschluss nach Norden mehr. Die Stadt bringt sie nachts in Turnhallen unter. Morgens wollen die Flüchtlinge weiter. Und dann herrscht am Bahnhof dichtes Gedränge. Gruppen junger Männer diskutieren lautstark miteinander. Kinder sammeln sich in einer Spielecke, die die Helfer eingerichtet haben. Sie halten Kuscheltiere in den Armen, die sie geschenkt bekommen haben.
An der Theke gibt es kostenlos Brötchen. "Halal" steht auf einem Schild, was bedeutet, dass das Essen den islamischen Speisevorschriften entspricht. An einem Holztisch packen zwei Helferinnen kleine Hygienebeutel, sortiert für Frauen und Männer. Was gerade gebraucht wird, veröffentlichen die Helfer laufend im Internet. Innerhalb weniger Stunden sind meist neue Spenden organisiert. An einem der beiden Laptops der Helferzentrale koordiniert Daniela die Aktivitäten.
Hilfe auf rechtlich dünnem Eis
Doch zum Tippen kommt sie kaum. Ein Syrer braucht Hilfe beim Einlegen seiner SIM-Karte in das Handy. Ob die in Skandinavien wohl funktioniert? Das Rückgrat des Teams bilden die Übersetzer. Es sind meist selbst Migranten, die jetzt in Flensburg leben. Einer überzeugt 24 Afghanen, ein Gruppenticket nach Malmö zu kaufen, um Geld zu sparen. Die Unterstützung beim Fahrkartenkauf gilt als sensibles Thema. Flüchtlinge, die in Deutschland kein Asyl beantragen, halten sich hier illegal auf. Jegliche Beihilfe könnte als Straftatbestand gewertet werden. Wer Flüchtlinge im Auto über die Grenze fährt, riskiert sogar Haft in Dänemark.
Ehrenamtliche sortieren das Chaos
Jetzt wird es zunehmend hektisch. Der 9 Uhr-Zug nach Norden ist voll. Die dänische Staatsbahn hat angekündigt, wieder einmal zusätzlich Busse zu schicken. Doch wo bleiben sie? Als der erste vor fährt, bildet sich sofort eine Menschentraube am Eingang. Daniela spricht mit den Übersetzern ab, wie die Flüchtlinge aufgeteilt werden, damit es keinen Streit gibt. Je zur Hälfte sollen arabisch- und persischsprachige Menschen in die Busse einsteigen. Der Helfer mit dem Gruppenticket für die Afghanen protestiert. Die Rechnung geht nicht auf, weil seine Männer gemeinsam reisen müssen. Vier Polizisten beobachten das Geschehen. Schließlich wendet sich einer an die Helfer: "So funktioniert das nicht!" Die Araber drängeln weiter. Ein anderer Übersetzer stellt sich schließlich vor den Bus: "Alle zurück auf die andere Seite!"
Flüchtling als Übersetzer
Schließlich hupt es von hinten. Zwei weitere Busse treffen ein. Eine Familie muss noch ihr Gepäck von der Straße räumen, dann können sie vorfahren. Die Lage entspannt sich. Doch es hat auch schon Rangeleien gegeben. Als sich vor einigen Tagen plötzlich 600 Menschen am Bahnhof stauten, bekam Übersetzer Mohammed einen Schlag auf Nase und Mund. Der junge Syrer ist bereits wieder am Start. Er kam erst vor anderthalb Jahren aus der zerstörten Stadt Aleppo nach Deutschland, gilt inzwischen als anerkannter Flüchtling und kann sich hier bereits ganz gut verständlich machen.
Professionelle Unterstützung lässt auf sich warten
Die Ehrenamtlichen kommen in solch angespannten Situationen an ihre Grenzen. Dem Team merkt man einen gewissen Stolz an, die Abläufe unbürokratisch und kreativ täglich besser in den Griff zu bekommen. Einige kritisieren aber, die Flensburger Stadtverwaltung zeige am Bahnhof zu wenig Präsenz. Und wenn, dann schicke sie Kontrolleure, die improvisiert verlegte Kabel und mangelnden Brandschutz im Kleiderspendenlager beanstanden. Inzwischen ist das wenigstens geregelt. Die Stadt hat den Einbau einer feuerfesten Tür bezahlt. Die Berufsfeuerwehr organisiert außerdem den Transport zu den Turnhallen.
Daniela geht zurück in die Bahnhofshalle. Noch immer verweilen dort etwa 50 junge Männer. "You cannot stay here", sagt sie einer Gruppe von Irakern, die nicht in die Busse einsteigen will. Einige befürchten offenbar, die Busse würden sie zu einer Registrierungsstelle bringen. Sie gehen lieber auf Nummer sicher und warten auf den nächsten Zug.
Rücktransport kurz vor dem Ziel
Eine Garantie für den Transit durch Dänemark existiert nicht. Seit Mitte September lässt die dänische Polizei die Flüchtlinge zwar mit der Bahn durch das Land reisen. Dennoch kontrolliert sie gelegentlich, so wie es das Schengen-Abkommen vorsieht. Wer dann keine Papiere bei sich hat und kein Asyl in Dänemark beantragt, wird zurück nach Deutschland geschickt. Überhaupt geht das kleine Land anders mit den Flüchtlingen um. Helfer am Bahnhof Kopenhagen mussten ihre Stände räumen. Schon im Sommer verschärfte die neue Regierung die Asylgesetze. Das hat Folgen: Nur rund 100 Menschen beantragen derzeit in Dänemark täglich Asyl, in Norwegen sind es 150, in Finnland etwa 300. Am beliebtesten bleibt aber Schweden mit rund 1.000 Neuankömmlingen pro Tag. Die Flensburger Flüchtlingshelfer verfolgen auch die dortigen Medien und wundern sich, wie wenig das Thema bisher in Schweden für Schlagzeilen sorgt.
Kurz vor 11 Uhr: Kaffeepause für Daniela. Auch der nächste Zug könnte wieder überfüllt sein. Aus Hamburg bekommt sie die Nachricht, 300 weitere Flüchtlinge seien unterwegs. Einige steigen erfahrungsgemäß bei der Erstaufnahme in Neumünster aus, andere biegen dort nach Kiel ab, weil sie auf direktem Weg mit der Fähre nach Schweden übersetzen wollen. Wie viele in Flensburg dann anko