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Der erste Monat ohne das AKW Brokdorf

von Peer-Axel Kroeske

31.01.2022 (archivierter Text)
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Seit Silvester ist Schleswig-Holsteins größtes Kraftwerk abgeschaltet. Im Stromnetz hat sich dadurch wenig verändert.

Um 20 Uhr am Silvestertag begann die Leistung des Atomkraftwerks in Brokdorf kontinuierlich zu fallen. Dreieinhalb Stunden dauerte es, bis es vom Netz gegangen war. Fast synchron dazu lief die Abschaltung an den Reaktoren Grohnde und Grundremmingen. Über Nacht verlor Schleswig-Holstein 1,4 Gigawatt (GW) an Stromerzeugung, ohne dass Verbraucher davon etwas merkten. Im Norden wehte gerade eine kräftige Brise: Um Mitternacht zum Jahreswechsel speisten Windkraftanlagen bundesweit mehr als 31 GW ins Netz ein. Deutschland exportierte große Mengen an Strom. Und das änderte sich auch nicht nach der Atomkraft-Abschaltung, wie die Energy-Charts des Fraunhofer Instituts ISE zeigen.

Kohle, Gas und Importe ersetzen vorübergehend Kernkraft

Nicht immer sind Wind und Sonne verfügbar. Selbst an stürmischen und sonnigen Tagen schaffen es die erneuerbaren Energien beim jetzigen Ausbaustand nur knapp, den gesamten Strombedarf in solchen Momenten abzudecken. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) prognostiziert, dass deshalb kurzfristig fossile Brennstoffe wie Kohle und Gas für abgeschaltete Atomkraftwerke, also auch für Brokdorf, einspringen müssen.

Freie Fahrt für Erneuerbare auf der Stromautobahn?

Allerdings galt Brokdorf auch als Hemmnis für den Ausbau von Windkraft in Schleswig-Holstein. Umweltminister Albrecht sprach von einer "Verstopfung" des Netzes durch Atomstrom. Windkraftanlagen würden deshalb gedrosselt. Die Entschädigungen für die Anlagenbetreiber schlagen dann auf die Stromrechnungen der Privatkunden. Obwohl Erneuerbare im Netz offiziell Vorrang haben, blieb Brokdorf aber selbst bei Starkwind meist mit mehr als 80 Prozent seiner Leistung am Netz. Dazu sagte Matthias Fischer, Sprecher des Netzbetreibers Tennet, ein vollständiges Herunterfahren sei "technisch und genehmigungsrechtlich" nicht möglich gewesen.

Windräder werden weiterhin gedrosselt

Diese Leistung wird nun frei. Damit kann das Netz zusätzlichen Windstrom für den Weitertransport nach Süden aufnehmen. Trotzdem wurden bei stärkerem Wind laut Netzampel SH auch in den ersten Januarwochen 2022 noch Dutzende Windräder insbesondere im nördlichen Nordfriesland abgeregelt. Zwar ist die Hochspannungsleitung entlang der A7, die so genannte Mittelachse, inzwischen fertig. Zwischen Niebüll und Husum fehlt aber noch immer der Anschluss an die Stromautobahn. Die Lage werde sich verbessern, wenn dieser Abschnitt der Westküstenleitung Ende des Jahres in Betrieb genommen wird, betonen die Netzbetreiber.

Mehr Stromimport aus Norwegen, vorerst weniger aus Dänemark

Ein weiterer Weg mögliche Dunkelflauten aufzufangen oder günstigen Strom ins Netz zu bekommen ist der Stromimport. Schleswig-Holstein kommt hierbei eine Sonderrolle zu, weil es direkte Verbindungen in drei skandinavische Länder gibt. Mit Nordlink ist inzwischen ein Seekabel nach Norwegen in Betrieb, das die dortigen Wasserreservoirs nutzt, um Energie zu speichern. Wenn bei Dunkelflauten der Strom zurück nach Deutschland fließt, kommt er an der Konverterstation Wilster im Kreis Steinburg ganz in der Nähe von Brokdorf an. Die Leistung entspricht der des Atomkraftwerks: 1,4 GW.

Dafür hat sich der Stromimport aus Dänemark im Vergleich zum Januar des vergangenen Jahres eher reduziert, obwohl mit der Mittelachse seit Ende 2020 ein leistungsstarker Übergabepunkt mit mehreren GW in Ellund westlich von Flensburg bereit steht. Durch Mittelachse und Westküstenleitung stehen langfristig mehr als 10 GW Importkapazität bereit. Das könnte an Bedeutung gewinnen, da Dänemark große Offshore-Windparks plant.

Im Lübecker Raum ist das Baltic Cable mit Schweden verbunden. Hier fließt die volle Leistung von 0,6 GW meistens in Richtung Deutschland. Mit dem neuen Jahr hat daran kaum etwas geändert. Schweden einen hohen Anteil an Wasserkraft, aber auch ein Drittel Kernkraft im Strommix. Für eine Gesamtbilanz ist es allerdings zu früh, da es von der Wetterlage abhängt, wo Deutschland gerade Strom importiert oder exportiert.

Offshore-Pläne mit vielfacher Leistung

Gleichzeitig kommen große Mengen an Offshore-Windkraft auf der Nordsee in den kommenden Jahren hinzu, die ebenfalls zum Teil an Knotenpunkten in Dithmarschen und Steinburg anlanden: Bis 2045 plant das Bundeswirtschaftsministerium unter Minister Habeck jetzt mit 70 GW Spitzenleistung allein auf deutschem Seegebiet. Zusammen mit dem weiteren Ausbau von Windenergie an Land gelangen damit über Schleswig-Holstein Strommengen in das Hochspannungsnetz, die die Leitung der ehemals drei Kernkraftwerke in Brokdorf, Brunsbüttel und Krümmel bei weitem übertreffen. Eine zentrale Frage wird dann, wie die Energie dann verteilt wird. Es gibt Pläne, sie für die Produktion von Wasserstoff zu nutzen. Genaue Prognosen sind noch schwierig, gleichzeitig müssen aber schon jetzt die Planungen für neue Stromtrassen beginnen. Dazu haben die Netzbetreiber gerade Szenarien vorgestellt, die in den nächsten Netzentwicklungsplan für 2037 einfließen sollen.


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