App verbindet sich mit Ampel: Achtung, hier kommt ein Blinder
von Peer-Axel Kroeske
21.10.2021 (archivierter Text)
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Handys von Sehbehinderten können hörbare Signale im Umfeld aktivieren. Eine Ampel in Husum ist damit jetzt ausgestattet.
Normalerweise ist die Ampel an der Kreuzung Plan / Ludwig-Nissen-Straße in Husum (Kreis Nordfriesland) stumm. Dieter Engelhardt kann aber die Geräusche einschalten. Dazu reicht es, dass er sein Handy in der Tasche hat. Auf dem Gerät hat er die App "Loc-ID" installiert. Diese sendet mit der gängigen Bluetooth-Funktechnik in etwa 100 Metern Umkreis ein Signal aus, das die Ampel bemerkt. Und dann beginnen die Klopf- und Piepgeräusche, die für rot und grün stehen. Sie passen sich sogar dem Pegel des aktuellen Verkehrslärms an.
Weiter Weg zum ausgereiften Produkt
Etwa 500 Ampeln in Deutschland seien bereits mit solch einer Technik ausgestattet, schätzt Rudolf Broer von der Entwicklerfirma RTB. Im fränkischen Schweinfurt und niedersächsischen Oldenburg gibt es besonders viele, in Schleswig-Holstein nur zehn. Die Ampel in Husum besitzt nun die neueste Version.
Die Vorgeschichte ist lang. 2013 wurde zunächst versucht, Sehbehinderte mit passiven RFID-Chips auszustatten, die selbst keinen Strom verbrauchen. 2016 erfolgte der Wechsel zur leistungsfähigeren Bluetooth-Technik, die inzwischen in jedem Smartphone verbaut ist. Mehr als 80 Prozent aller Blinden benutzen laut einer Umfrage Handys. Alternativ können auch Minisender in der Größe eines Schlüsselanhängers verwendet werden. Neue Versionen der Apple- und Android-Betriebssysteme erforderten zuletzt allerdings immer wieder ein Update der Software in den Ampeln. Der neueste Weiterentwicklung: Die Handys der Sehbehinderten spielen diese Updates automatisch auf, so dass kein Wartungstechniker mehr vorbeikommen muss.
"Hier kommt Linie 10"
Die Technik könnte nicht nur an Ampeln die Orientierung erleichtern. Eine Idee: Busse sagen an, zu welcher Linie sie gehören. Elektroroller, die auf dem Weg abgestellt sind, könnten zur Warnung piepen, wenn sich ein Blinder nähert. Es schwillt das künstlich erzeugte Geräusch der leisen E-Autos an, sobald jemand mit der App in der Nähe ist. Oder im Rathaus wird beim Gang über den Flur angesagt, wer in welchem Zimmer sein Büro hat.
Ideen gibt es viele. Das Problem: Es fehlt ein einheitlicher Standard. Unterschiedliche Firmen setzen auf eigene Apps und haben wenig Interesse daran, ihre Schnittstellen offen zu legen. Die Loc-ID-App soll nun zumindest automatisch mitteilen, wenn weitere Apps installiert werden müssen - etwa beim Besuch einer anderen Stadt. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband unterstützt diesen Ansatz.
Bauteil billig, Montage teuer
Bis die meisten Ampeln solch eine Technik haben, ist es noch ein weiter Weg. Das Bauteil selbst kostet zwar weniger als 100 Euro. Der Einbau sei zu einem vertretbaren Preis aber nur möglich, wenn die Ampel ohnehin gerade ein neues Innenleben bekommt, meint Firmenvertreter Broer. In Husum wurden gerade erst sämtliche Ampeln auf energiesparende LED-Technik umgestellt. Nur der Standort an der Ludwig-Nissen-Straße war noch übrig. Deshalb läuft hier nun das Pilotprojekt, in dem zunächst ein Jahr lang Erfahrungen gesammelt werden sollen.