Freispruch für Baumbesetzer vom Flensburger Bahnhofswald
von Peer-Axel Kroeske
07.11.2022 (archivierter Text)
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Der Einsatz für den Klimaschutz kann einen Hausfriedensbruch rechtfertigen, hat das Flensburger Amtsgericht entschieden.
Es waren unruhige Wochen Anfang 2021, als mehrfach Lieferwagen der Hotelinvestoren brannten, Demonstranten Bauzäune niederrissen und sich die Baumbesetzer ein Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei lieferten. Vier Tage lang hatten Hundertschaften der Polizei das Gehölz umstellt, auf dem zwei Flensburger Unternehmer ein Intercity-Hotel bauen wollen, während einige Meter über dem Grund Demonstranten über Traversen balancierten. Einer der letzten, die dort ausharrten, war der 42-jährige Angeklagte. Von Oktober bis Februar hatte er die meiste Zeit in den selbst gezimmerten Baumhäusern verbracht. Deshalb musste er sich nun verantworten.
Kein Zweifel an Hausfriedensbruch
Der Vorwurf: Hausfriedensbruch. Einer der Hotelinvestoren hatte Strafbefehl beantragt. Der Angeklagte war aufgefordert worden, 15 Tagessätze von jeweils 15 Euro zu zahlen, insgesamt also 225 Euro. Er weigerte sich. So kam es zur Verhandlung, die fast vier Stunden dauerte. Ein Polizeikommissar bezeugte, die Identität des Mannes nach dem Abseilen festgestellt zu haben. Der Verteidiger argumentierte aber, das Gelände sei nur lückenhaft eingezäunt gewesen, Waldstücke dürften zudem grundsätzlich betreten werden. Er stellte auch infrage, ob eine berechtigte Person in juristisch korrekter Weise die Demonstrierenden aufgefordert habe, die Bäume zu verlassen. All das überzeugte die Richterin nicht. Sie sah den Tatbestand des Hausfriedensbruchs als erfüllt an.
Klimaschutz als höheres Rechtsgut
Ein anderes Argument überzeugte die Richterin dann aber doch: der "rechtfertigende Notstand". Der Sprecher des Amtsgerichts Stefan Wolf erklärte dazu: "Die Richterin hat den Klimaschutz hier als Rechtsgut von Verfassungsrang mit dem Eigentumsschutz der Waldeigentümer abgewogen und dann entschieden, dass der Klimaschutz hier als Rechtsgut wesentlich überwogen hat und diese Tat des Hausfriedensbruchs in diesem konkreten Fall gerechtfertigt hat." In der Begründung verwies die Richterin auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2021, das die Gesetzgebung zum Klimaschutz als unzureichend bewertet hatte. Zwar sind als Ausgleich Aufforstungen an anderer Stelle geplant. Der Baumbesetzer hatte aber auch angeführt, das zentrale Waldstück habe eine gute Wirkung auf das Stadtklima. Zudem sei das Biotop nicht einfach ersetzbar.
Applaus im Gerichtssaal
Die Staatsanwaltschaft hatte im Plädoyer nur noch eine Geldstrafe von 150 Euro gefordert. Sie kann noch Berufung einlegen. Trotzdem sagte der 42-Jährige anschließend, er sei "absolut erleichtert, überrascht und glücklich." Die etwa 20 Zuschauer im Saal applaudierten, trotz Mahnungen der Richterin. Rund 40 Demonstrierende waren vor der Verhandlung dem Aufruf der Ortsgruppe von Fridays for Future gefolgt und durch Flensburg gezogen, um die Angeklagten zu unterstützen. Am Eingang des Gerichts wurden Kleidung und Rucksäcke kontrolliert. Im Saal gab es dann einzelne Zwischenrufe, die Atmosphäre war aber nicht aggressiv. Ein Prozess gegen einen zweiten Baumbesetzer wurde vertagt.
Seit Juli: Baustopp für das Hotel
Scharfe Kritik übt die Gruppe um die früheren Baumbesetzer weiterhin an den Umständen der Räumung: Die Investoren hatten zunächst einen Sicherheitsdienst damit beauftragt, der die besetzten Bäume leicht ansägte. Das Verfahren dazu wurde eingestellt. Die Stadt Flensburg hatte die anschließende Räumung durch die Polizei dann mit der Corona-Ausgangssperre begründet. Hierdurch kamen aber besonders viele Menschen zusammen. Das Gelände wurde sofort gerodet, der Hotelbau jedoch erst ein Jahr später begonnen. Und er ruhte sofort wieder. Die Umweltorganisation BUND hat einen Baustopp erwirkt, der gilt, bis geklärt ist, ob die Investoren gegen Naturschutzauflagen verstoßen haben.